Ärztekammer zum Regierungsprogramm: Finanzierung bleibt offen

Viele Punkte des neuen Regierungsprogrammes stimmen optimistisch für die Zusammenarbeit mit der neuen Regierung. Allerdings müsse die Frage der Finanzierung geklärt werden.

Wien (OTS) – „Dass das Kapitel „Gesundheit“ nur sieben Seiten umfasst, lässt hoffentlich keine Rückschlüsse auf den Stellenwert zu, den die neue Regierung dem Thema Gesundheit, Gesundheitspolitik und Gesundheitsversorgung beimisst“, sagt Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer. „Es erstaunt zudem, dass das angesichts der involvierten Milliardensummen große Thema Sozialversicherung mit nur anderthalb Sätzen gestreift wird“, sagt der ÖÄK-Präsident. Man werde die Entwicklung in diesem heiklen und eminent wichtigen Bereich des Sozialstaates „genauestens beobachten“, verspricht Szekeres. Das Bekenntnis zur Selbstverwaltung sei aber positiv zu sehen und auch sonst gebe es viele Punkte, die optimistisch stimmen.

„Die Etablierung von finanziellen und sachlichen Anreizsystemen für gesundheitsfördernde Maßnahmen und Teilnahme an Präventionsprogrammen (z.B. Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen) ist aus medizinischer Sicht ebenso wünschenswert wie die „Evidenzbasierte Modernisierung der Vorsorgeuntersuchungen“, sagt Szekeres: „Jeder Euro, der in die Prävention fließt, erspart ein Vielfaches an Folgekosten.“

Mut zur Investition gefordert

Entscheidend für die kommenden Jahre wird aber ein Punkt sein, der sich gar nicht im Regierungsprogramm findet, nämlich die zentrale Frage der Finanzierung. „Geld ist die Grundvoraussetzung“, sagt Szekeres: „Wir haben schon oft betont, dass es mehr Geld im Gesundheitssystem brauchen wird, um den Herausforderungen der Zukunft angemessen und unserem in Österreich gewohnt hohen Standard entsprechend begegnen zu können. Ich vermisse ein klares Bekenntnis der Regierung, in diesen zentralen Bereich unseres sozialen Gefüges zu investieren. Die Gesundheitsausgaben gemessen am BIP stagnieren ohnehin schon lange genug, durch die Zeit des Überganges ist der Investitionsdruck sicher nicht kleiner geworden. Wir dürfen unsere Messlatte, die im Bereich unserer Nachbarländer Deutschland und Schweiz liegt, nicht aus den Augen verlieren“, appelliert Szekeres.

„Unsere Hand ist jedenfalls von Beginn an ausgestreckt, um zu helfen. Die Herausforderungen, die die großen Themen „Gesundheit“ und „Pflege“ mit sich bringen, können wir nur gemeinsam meistern“, so Szekeres: „Wir vertrauen hier auf die pragmatische Lösungsorientierung und Pakttreue des neuen Gesundheitsministers.“

Mayer: Spitäler müssen dringend entlastet werden

„Wie manche der durchaus positiven Regierungsabsichten tatsächlich umgesetzt werden, wird sich weisen“, sagt Harald Mayer, ÖÄK-Vizepräsident und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte. Grundsätzlich seien sämtliche Maßnahmen, die die Spitäler entlasten, begrüßenswert. Spitäler seien eine wichtige Säule im Gesundheitssystem, darauf dürfe man nicht vergessen. Ob am Tag, in der Nacht, an Werktagen und an Feiertagen – sie sind eine wichtige Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten. „Eine Entlastung ist nur möglich, wenn die Patientenversorgung außerhalb der Spitäler gesichert ist“, betont Mayer die Wichtigkeit des im Regierungsprogramm geplanten Ausbaus der wohnortnahen Versorgung.

Für ihn unverständlich ist hingegen die im Regierungsprogramm geplante befristete Verlängerung des Opt-outs: „Eine Verlängerung des Opt-out über Juni 2021 hinaus ist nicht verhandelbar. Kürzere Arbeitszeiten dienen dem Schutz der Patientinnen und Patienten und dem Schutz von Ärztinnen und Ärzten“ sagt er und verweist auf eine ÖÄK-Umfrage, in der junge Ärztinnen und Ärzte mehrheitlich eine Wunscharbeitszeit von 38 Stunden angaben. Spitalsärzte würden zudem Zeit für die Ausbildung benötigen: „Als Ausbildner muss man den Patientenfall besprechen, erklären, medizinisch versorgen und anschließend nachbesprechen. Das dauert natürlich viel länger als wenn ich den Patienten alleine behandle“, sagt er. Es fehle das Personal, die Arbeitszeit verdichte sich – und zudem koste ELGA, das noch nicht benutzerfreundlich genug funktioniere, noch viel Zeit: „Wenn es eine Minute dauert, bis die Patientenakte geladen wird, die dann auch nicht vollständig ist, dann hilft mir die elektronische Patientenakte in meiner täglichen Arbeit nicht viel weiter“, kritisiert er. „Wir befürworten eine digitale Patientenakte, aber bitte eine benutzerfreundliche, schnelle und strukturierte.“

Kamaleyan-Schmied: „Ankündigungen an Umsetzung messen“

Naghme Kamaleyan-Schmied, Leiterin des ÖÄK-Referates für Primärversorgung und ärztliche Zusammenarbeitsformen, zeigte sich mit dem Regierungsprogramm großteils zufrieden. „Die Qualität der Ankündigungen wird aber an ihrer Umsetzung zu messen sein“, so Kamaleyan-Schmied. Die Ärzteschaft sei bereit, ihre Expertise konstruktiv einzubringen.

Erfreulich seien die geplante nachhaltige finanzielle Absicherung der Gesundheitsversorgung sowie das Bekenntnis zum „Ausbau der flächendeckenden wohnortnahen Versorgung“. „Wir hoffen diesmal auf die Umsetzung“, so Kamaleyan-Schmied. Für eine wesentliche Voraussetzung einer wohnortnahen Medikamentenversorgung in ländlichen Regionen, nämlich mehr ärztliche Hausapotheken, fehle der Bundesregierung leider der politische Wille. Das Bekenntnis zur wohnortnahen Versorgung sollte zudem auch bedeuten, sich zu rund 1.300 zusätzlichen Kassenarztpraxen zu bekennen, die die ÖÄK schon lange fordert.

Zu begrüßen seien auch die angekündigte „Erweiterung der Vertragsarztmodelle“, die „gezielte Offensive für Fachärztinnen und Fachärzte“, bei der die Beschränkung auf Pädiatrie, Kinderpsychiatrie und Augenheilkunde aber zu kurz greife, sowie der Facharzt für Allgemeinmedizin. „Auch der Wunsch nach einer Weiterentwicklung des Mutter-Kind-Passes ist im Sinne der Ärztekammer – dazu liegt dem Gesundheitsministerium bereits ein fertiger Entwurf der Ärztevertretung vor“, erinnert Kamaleyan-Schmied. Positiv sehe man auch, dass es keine Ausweitung von Selbstbehalten für Arztbesuche im ASVG geben soll. „Der Zugang zum Arzt muss möglich niedrigschwellig bleiben“, sagt Kamaleyan-Schmied.

„Die Regierung äußert sich sehr positiv zu E-Health, was ein kontroverses Thema war und ist“, so Kamaleyan-Schmied. Wichtig sei, dass etwa ELGA keine Belastung wie derzeit noch, sondern eine Entlastung für Ärzte bringt. Das Vorantreiben der Digitalisierung in Forschung, Diagnose und Behandlung bedürfe noch vieler Vorarbeiten und klarer Rahmenbedingungen.

„Die unabhängige Qualitätssicherung, die sich die Regierung wünscht, gibt es im niedergelassenen ärztlichen Bereich bereits, das ist die ÖQMED“, so Kamaleyan-Schmied. Für die Spitäler fehle so ein System, es sei sicherlich sinnvoll, eines zu etablieren. Auch Kamaleyan-Schmied betonte die Wichtigkeit der Finanzierung: „Ich sehe die versprochene Patientenmilliarde nicht – diese muss endlich kommen.“