Gründe für den Ärztemangel sind vielschichtig

Besonders Bürokratie und die neue Ausbildungsordnung belasten die Allgemeinmedizin

(Wien/OTS) – Seit längerem schon warnt die ärztliche Standesvertretung nicht nur in Niederösterreich vor einem Defizit an niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten und hier vor allem im Fach der Allgemeinmedizin. „Leider wurde dies stets als reine Panikmache der Ärztekammer abgetan. Nun sind die Folgen auch für die größten Leugner nicht mehr zu übersehen und die Leidtragenden sind die Patienten, denen die Hausärzte abhandenkommen“, meint Dr. Christoph Reisner, MSc, Präsident der NÖ Ärztekammer. Unterstützung bekommt er vom Vizepräsidenten und Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte, MR Dr. Dietmar Baumgartner: „Dass speziell Verträge mit den sozialen Krankenversicherungen nicht mehr die gleiche Attraktivität und damit den Stellenwert von früher in der Ärzteschaft genießen, hat mehrere Gründe. Bürokratische Belastungen, die die Zeit für Patientenkontakte einengen und letztlich der Kontrolle der Vertragsärztinnen und Vertragsärzten dienen, sind der eine Grund. Eine Ausbildungsordnung, die speziell das Fach der Allgemeinmedizin benachteiligt, muss zwangsläufig dazu führen, dass dieser so wichtige Beruf nicht in ausreichendem Maß angestrebt wird.“

Doch die Gründe für den Ärztemangel sind noch vielschichtiger. So sind die restriktiven Zugangsbeschränkungen zum Studium und insgesamt zu wenige Studienplätze nicht gerade förderlich, um die ärztliche Versorgung langfristig sicherzustellen. Mit dem Aufnahmetest zum Studium werden nicht unbedingt jene Studenten ausgewählt, die später einmal den Beruf des Landarztes wählen wollen. Dazu kommt, dass die Ärzteschaft früher zu 75 Prozent männlich war und zu 25 Prozent weiblich. Derzeit ist die Verteilung zwei Drittel Frauen und ein Drittel Männer. Die früher sehr häufig vorgekommene Rollenverteilung „Ordination als Familienbetrieb“ mit dem Mann, der Arzt war, und der Frau, die als Ordinationsassistentin mitgearbeitet hat, gibt es nicht mehr. Männer und Frauen stellen zunehmend Anspruch auf ein geregeltes Familienleben wie in anderen Berufen auch. Reisner: „Will man den Ärztemangel langfristig beheben, muss man genau an diesen Punkten ansetzen und gezielt gegensteuern. Die Gründe sind längst bekannt und Gegenmaßnahmen hätten schon vor langem gesetzt werden können.“

Nicht die Ärztekammer trägt dafür Verantwortung, dass Planstellen nicht mehr besetzt werden können. „Auch wenn das Land als Mitentscheider für die Stellenvergabe fungiert, wird sich die Situation nicht ändern. Wir stehen am Beginn einer Pensionierungswelle. Ohne Gegensteuerung wird sich das Problem künftig noch verschärfen. 46 Prozent der Allgemeinmediziner in Niederösterreich sind 55 Jahre und älter, 26 Prozent sind 60 Jahre und älter. Also rund die Hälfte der Allgemeinmediziner wird in den kommenden zehn Jahren in Pension gehen“, so Baumgartner weiter. Ausschließlich eine Erhöhung der Attraktivität des Berufes Allgemeinmediziner – und hier ist nicht nur die Höhe des Honorars gemeint – kann möglicherweise Abhilfe schaffen. Jedenfalls ist es jetzt schon fünf vor zwölf.