Gesundheitsgipfel 2: Integrierte und individuelle Medizin als Modell der Zukunft

Individualisierte Therapien bringen „Revolution in der Medizin“ – Stärkung der Prävention von zentraler Bedeutung

Wien (OTS) – Vor einer modernen Medizin, die vollkommen unreflektiert nach dem Modell der industriellen Produktion und nach ausschließlich ökonomischen Gesichtspunkten gesteuert wird, warnte der Medizinethiker Giovanni Maio, der an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg lehrt: „Dadurch gerät die Medizin in einen Strudel, der ihre eigenen Werte auf den Kopf stellt.“

Ärztinnen und Ärzte müssten mit Entschiedenheit verdeutlichen, dass das, was der kranke Mensch von ihnen erwartet, etwas anderes ist als das, was das politische System gegenwärtig aus den Ärztinnen und Ärzten machen möchte: „Zur ärztlichen Logik gehört ein ganzheitliches Denken, ein Wille, zunächst den ganzen Menschen sehen zu wollen, bevor man als Arzt behandelt. Daher sind die Ärztinnen und Ärzte selbst dazu aufgerufen, zu verdeutlichen, worin ihre eigentliche Leistung besteht.“

Denn in einem ökonomisierten und industrialisierten System werde die prosoziale Einstellung der Ärztinnen und Ärzte immer mehr zur Nebensache.

Gesundheitsförderung statt Krankheitsbekämpfung

In Österreich wird im öffentlichen Gesundheitssystem nur behandelt, wer krankgeschrieben ist. Wer Prävention betreiben möchte, muss zahlen, wurde von den Referenten des „Ersten Österreichischen Gesundheitsgipfels“ massiv kritisiert. Die Sozialversicherung zahle nur bei Krankheit, präventivmedizinische Maßnahmen würden nicht honoriert, lautete die Kritik.

Für Volker Amelung, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Managed Care und Professor für Internationale Gesundheitssystemforschung an der Medizinischen Hochschule Hannover, ist Prävention von zentraler Bedeutung vor allem für die Nachhaltigkeit und Finanzierbarkeit der Gesundheitsversorgung, „und es unterstützt die Generationenfestigkeit“. Die Grundlage eines effizienten Gesundheitssystems sei die Überwindung der Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, wobei die integrierte Versorgung ständig weiterentwickelt werden müsse.

Die Möglichkeiten moderner Medizin würden präventive Maßnahmen oft erst ermöglichen und die Prämisse müsse heißen: „Schadensbegrenzung vor Schadensbekämpfung“.

Integrativ und Individuell – Roboterisierung droht

Eine Revolution in der Medizin sei die Überwindung der Grenzen zwischen naturwissenschaftlicher und individueller Medizin, brachte Matthias Beck, Professor für Moraltheologie an der Universität Wien und Kaplan der Pfarre St. Josef zu Margareten, einen weiteren Aspekt in die Diskussion ein. „Das kann dazu führen, dass vor jeder medikamentösen Therapie eine Genanalyse durchgeführt wird, damit eine spezifisch zielgerichtete Therapie für den einzelnen Patienten eingeführt werden kann. Das könnte die Medizin zunächst verteuern, auf Dauer aber womöglich billiger machen.“

Hier führe das bessere Verständnis von Krankheiten auch zu einer größeren Verantwortung des Patienten, der durch Lebensstiländerungen an der Heilung von Krankheiten oder an ihrer Prävention mitwirken könne, so Beck.

Eine weitere Neuerung wird laut Beck sein, dass man riesige Datenmengen über die Patienten sammeln werde: „Womöglich werden Computer demnächst die Diagnose erstellen und gleich eine Therapie mit anbieten.“ Hier stelle sich die Frage, wer die Computer programmieren solle. Laut Beck spiele der Arzt „womöglich eine immer kleinere Rolle, weil der Computer seine Arbeit übernimmt, oder aber er muss umgekehrt breiter und ‚ganzheitlicher‘ ausgebildet werden, um die vom Computer errechnet Daten in ein Gesamtbild für den Patienten zusammenzusetzen“. Schließlich werde die Ergänzung oder Ersetzung des Menschen durch Roboter zu weiteren Umstrukturierung der Medizin und des Arbeitsmarktes führen, so die Prognose von Beck.