Ärztekammer-Umfrage attestiert Stillstand in Wiens Spitälern

Österreichweit schlechteste Noten für die Bundeshauptstadt – Leitner: „Hoffentlich haben wir die Talsohle erreicht“

(ANÖ/OTS). Wien  – Wiens Spitäler befinden sich in einem desolaten Zustand. Diese Erkenntnis wurde abermals durch eine österreichweite Befragung von Spitalsärzten durch die Österreichische Ärztekammer gewonnen. Demnach ortet mehr als die Hälfte der Befragten in Wien (58 Prozent) einen Stillstand im Spitalswesen, weitere 20 Prozent sogar eine Verschlechterung. Hermann Leitner, Vizepräsident und Obmann der Kurie angestellte Ärzte der Ärztekammer für Wien, dazu: „Hoffentlich haben wir die Talsohle erreicht.“  „Besonders besorgniserregend ist der bisherige chronologische Verfall der Wiener Spitäler aufgrund der durch die Ärzteschaft wahrgenommenen Veränderungen“, kommentiert Leitner die Wiener Ergebnisse. Bei allen Erhebungen im Zeitraum 2003 bis 2013 gab etwa die Hälfte der Ärzteschaft an, dass die Arbeit im Krankenhaus unangenehmer geworden sei (2003: 43 Prozent; 2006: 55 Prozent; 2010: 47 Prozent; 2013: 54 Prozent).

Die Ursachen für den Stillstand sind in der Wahrnehmung der Ärzteschaft schnell gefunden: Mehr als drei Viertel der Spitalsärzte fühlen sich durch Verwaltungsaufgaben und Patientendokumentation (76 Prozent) sowie vermehrten Zeitdruck (77 Prozent) belastet. Mehr als die Hälfte fühlt sich durch steigende Überstunden (53 Prozent) und Nachtdienste (56 Prozent) belastet. Auch hier sei eine Verschlechterung bereits seit 2003 sichtbar, beobachtet Leitner, der Ausblick bleibe aber negativ. Auch die „Treiber“ für die negativen Entwicklungen waren Thema der Umfrage. Als Hauptursachen wurden dabei die Personalknappheit (83 Prozent), die Patientendokumentation (67 Prozent), der steigende Zeitdruck (61 Prozent) sowie das Ansteigen der Ambulanzfälle (65 Prozent) genannt. Interessant: Die Personalknappheit tritt als gravierendstes Problem im Zeitraum von 2014 bis heute auf.

„Traurigerweise kann man nur hoffen, dass wir nach 13 Jahren des Herunterfahrens des Spitalssystems einen Boden gefunden haben“, sagt Leitner, der aber gleichzeitig befürchtet: „Sollte der größte Spitalsträger in Wien, der Wiener Krankenanstaltenverbund, weiter wie bisher vorgehen, wird dies nicht das endgültige Tief bleiben.“ Eine weitere Verschlechterung der Situation sei daher durchaus möglich.

Jungärzte blicken besorgt in die Zukunft

Eine weitere brisante Erkenntnis lieferten die Antworten der Ärztinnen und Ärzte hinsichtlich der Turnusausbildung. 76 Prozent der Nachwuchsmediziner trauen sich demnach keine Arbeitsfähigkeit mehr mit 65 Jahren zu, wenn sie an ihre derzeitige Arbeit und deren Auswirkung auf ihren künftigen Gesundheitszustand denken. „Unsere Jungärzte wissen, dass sich das Ganze derzeit nicht ausgehen kann. Es ist unverantwortlich, die nächste Generation in so eine Zukunft zu entlassen“, mahnt Leitner und nimmt die junge Kollegenschaft in Schutz.

Auch in Sachen Einkommen bilden die Turnusärzte das Schlusslicht: Aufgrund der Arbeitszeit- und Gehaltsanpassung durch das neue Arbeitszeitgesetz haben lediglich 50 Prozent von ihnen keinen Einkommensverlust erlitten. „Solange Löhne verspätet ausgezahlt und Tricksereien erfunden werden, wird es kein gerechtes Einkommen geben“, kritisiert Leitner und betont: „Leistung muss entlohnt werden – auch bei den Jungen.“ Die vom unabhängigen Institut für empirische Sozialforschung (IFES) im Auftrag der Österreichischen Ärztekammer im April 2016 durchgeführte Umfrage fand österreichweit statt. 1773 Spitalsärzte nahmen daran teil, davon 446 Ärztinnen und Ärzte in Wien.