Krankenkassen-Chefin kritisiert Pharmafirmen

Es gebe ein kein Mengen-, sondern ein Preisproblem, sagt Ingrid Reischl von der WGKK. Die Pharmawirtschaft weist die Angaben als „Fantasiezahlen“ zurück, die „bewusst irreführend“ seien.

Die WGKK wird heuer wieder ein Minus von 64,6 Millionen Euro schreiben. Wien zählt die meisten Arbeitslosen (15,6 Prozent) und Mindestsicherungsbezieher aller Bundesländer. In Wien leben aber nur 20,2 Prozent der Gesamtbevölkerung!
Die WGKK wird heuer wieder ein Minus von 64,6 Millionen Euro schreiben. Wien zählt die meisten Arbeitslosen (15,6 Prozent) und Mindestsicherungsbezieher aller Bundesländer. In Wien leben aber nur 20,2 Prozent der Gesamtbevölkerung!

(ANÖ/DP). Scharfe Worte im Streit um die Pharma-Preise findet die Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), Ingrid Reischl: Sie sprach am Donnerstag von „modernem Raubrittertum“. Der heimischen Sozialversicherung drohe bis 2018 eine Lücke von rund einer Milliarde Euro, warnte sie, die Pläne für gesetzlich fixierte Rabatte begrüßt sie naturgemäß. „Wir haben kein Mengen-, sondern ein Preisproblem“, versicherte Reischl, die auch Vorsitzende der Trägerkonferenz im Hauptverband der Sozialversicherungsträger ist, im Gespräch mit Journalisten. Heilmittel würden inzwischen einen „ganz gewaltigen Ausgabebrocken“ darstellen. 3,2 Mrd. Euro wurden 2014 bundesweit von den Sozialversicherungen dafür aufgewendet. In Wien seien es 634 Mio. Euro gewesen. 2015 drohe ein Anstieg in Österreich um 7,23 Prozent.

Die Pharmawirtschaft wehrt sich gegen Vorwurf des „Raubrittertums“. Es handle sich um „Fantasiezahlen“, die „unsachgemäß“ und „bewusst irreführend“ seien, hieß es in einer Aussendung der Geschäftsführerin des Fachverbandes der chemischen Industrie, Sylvia Hofinger. Laut Pharmaindustrie belaufen sich die Steigerungsraten bei den Medikamentenkosten im Gesamtjahr auf knapp fünf Prozent und nicht auf mehr als sieben Prozent.  „Es gilt vielmehr die Krankenkassen bei ihren Ausgaben in die Pflicht zu nehmen. Denn Zwangsrabattierungen können keine Budgetlöcher stopfen“, betonte Hofinger.

Keine Trendumkehr bei Kosten in Sicht

Aus Sicht der WGKK-Chefin ist keine Trendumkehr absehbar: In den nächsten Jahren sei im Heilmittelsektor mit einem Anstieg zwischen fünf und sechs Prozent zu rechnen, so Reischl. Das Problem liege klar an den teuren Medikamenten. Die Kosten etwa bei der Behandlung von Hepatitis C würden – angesichts eines neuen hochpreisigen Präparates – an Raubrittertum grenzen. Auch Krebsmedikamente und ein neuer Cholesterinsenker würden sich negativ auswirken, berichtete die WGKK-Chefin. Vor allem letzterer sei eine Gefahr: „Wenn extrem überteuerte Medikamente für Volkskrankheiten eingesetzt werden, ist klar, dass diese Dimensionen von einer Sozialversicherung nicht mehr getragen werden können.“

Ökonomische Verschreibung soll kommen

Das in Begutachtung befindliche Rabattgesetz sei ein „Schritt in die richtige Richtung“, stellte sie klar. Weitere müssten aber nun folgen. Fatal sei auch, dass Preisverhandlungen zum Teil nicht mehr stattfinden. Pharmafirmen verzichten immer öfter darauf, eine Aufnahme in den sogenannten Erstattungskodex (EKO) zu beantragen, wie Edith Brandner, die Leiterin der Abteilung Medizinische Behandlungsökonomie in der WGKK, ausführte. Der Kodex umfasst jene Medikamente, die grundsätzlich von der Sozialversicherung bezahlt würden.

Die Wiener Kasse hat eine Reihe von Vorschlägen parat, um das Problem der vermuteten „willkürlichen“ Preisbildung zu lösen. Propagiert wird etwa die verpflichtende ökonomische Verschreibung, wie es sie in anderen Ländern bereits gibt. Sie sieht die Abgabe der jeweils kostengünstigsten wirkstoffidenten Alternative in Apotheken vor. Auch ein Überdenken der oft sehr langen Arzneimittelpatente sei nötig, hieß es. Außerdem sollten teure Mittel nur in Fachambulanzen oder Spitälern abgegeben werden dürfen.

Zwangsrabatte: Pharmig sieht Bedenken durch Gutachten bestätigt

Interessenvertretung wehrt sich gegen Vorhaben des Gesundheitsministeriums

Wien – Der Verband der pharmazeutischen Industrie (Pharmig) macht weiter gegen die Pläne des Gesundheitsministeriums mobil, die Pharmaunternehmen per Gesetz zu Zwangsrabatten auf Medikamente zu verpflichten. Am Mittwoch wurde ein Gutachten vorgestellt, das die Verfassungswidrigkeit des Vorhabens belegen soll.

Wie berichtet sieht der Gesetzesentwurf Zwangsrabatte zwischen drei und 15 Prozent vor, die die Krankenkassen im Nachhinein auf die Medikamentenpreise verrechnen dürfen. Sie würden sich somit 125 Millionen Euro pro Jahr ersparen. Begründet wird der Schritt mit den stark gestiegenen Arzneimittelpreisen in jüngster Zeit.

Verfassungs- und unionsrechtliche Bedenken

Laut dem Gutachten von Michael Mayrhofer von der Johannes-Kepler-Uni in Linz und von Mathis Fister, Assistenzprofessor für Europarecht und Internationales Recht an der WU-Wien, ist der Entwurf weder mit der österreichischen Verfassung noch mit EU-Recht vereinbar. Konkret werde in Österreich das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums, die Erwerbsfreiheit und auch der Gleichheitsgrundsatz (durch das Zusammenwirken mit anderen Preisregelungsvorschriften) verletzt. EU-rechtlich bestehe ein Widerspruch zur Warenverkehrsfreiheit, heißt es in der zweiseitigen Expertise.

Die Pharmig hat bereits angekündigt, alle rechtlichen Möglichkeiten gegen das Gesetz ausschöpfen zu wollen. Allerdings gab es bereits in der Vergangenheit ein ähnliches Gesetz, das vom Verfassungsgerichtshof nicht gekippt wurde. Damals lagen die Zwangsrabatte allerdings bei nur zwei Prozent.