Hauptverband beklagt hohe Arzneimittelpreise

Verhandlungen zu neuem Pharma-Vertrag zwischen Industrie und Krankenkassen vorerst unterbrochen – Deutlich höhere Ausgabensteigerungen als zuletzt

Pharmig-Generalsekretär Huber äußerte sich so: "Wir sind optimistisch bezüglich einer Einigung. An manchen Stellschrauben muss noch gedreht werden
Pharmig-Generalsekretär Huber äußerte sich so: „Wir sind optimistisch bezüglich einer Einigung. An manchen Stellschrauben muss noch gedreht werden

(ES(APA). Wien – Bis Ende 2015 soll es einen neuen Vertrag zwischen dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger (HVB) und der pharmazeutischen Industrie in Sachen Rabatte für von den Kassen bezahlte Medikamente geben. Derzeit sind die Gespräche allerdings unterbrochen, sagten jetzt HVB-Chef Peter McDonald und Pharmig-Generalsekretär Jan Oliver Huber. Es geht um Dutzende Millionen Euro.

„Der geltende Vertrag läuft Ende des Jahres aus. Wir haben ein hervorragendes Gesundheitssystem. Es steht dafür, auch innovative Arzneimittel schnell und ausreichend unseren Versicherten zur Verfügung zu stellen. Da sind wir international Spitzenreiter. Wir wollen das auch in Zukunft sicherstellen, haben bei erwarteten Steigerungen von zwischen sieben und acht Prozent aber eine prognostizierte ‚Pharma-Lücke‘ zwischen 120 und 150 Millionen Euro allein für das Jahr 2016“, sagte McDonald.

Kein Fehlbetrag

Die Zahlen der verschiedenen am Arzneimittelwesen im niedergelassenen Bereich Beteiligten weisen derzeit alle in etwa die gleiche Richtung. Der Hauptverband registrierte laut McDonald im ersten Quartal 2015 eine Steigerung bei den Arzneimittelausgaben von zehn Prozent, im ersten Halbjahr eine von 8,5 Prozent.

Der Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer, Christian Müller-Uri, nannte für die ersten fünf Monate 2015 eine Kassenumsatzsteigerung von etwa zehn Prozent. Geringer setzte man beim Verband der pharmazeutischen Industrie ( Pharmig) die Steigerungsrate an. Huber: „Es dürften im ersten Halbjahr eher plus 7,5 Prozent sein. Ich glaube, dass wir Ende des Jahres zwischen sechs und sieben Prozent haben werden. Ich teile nicht die Meinung, dass es kommendes Jahr bei den Krankenkassen einen Fehlbetrag durch die Medikamente von 120 bis 150 Millionen Euro geben wird. Da müsste man ja von (Umsatz-)Steigerungen von zwölf bis 13 Prozent ausgehen. Die werden wir nicht haben.“

Unbestritten ist bei allen Beteiligten, dass die Zuwächse bei den Arzneimittelausgaben via Kassenrezepte in Österreich in der Vergangenheit jahrelang fast stagniert haben oder nur geringfügig gewachsen sind (2012 in den Apotheken: plus 2,6 Prozent bei annähernd gleicher Inflationsrate; 2013: plus 1,1 Prozent, 2014 dann plus 4,7 Prozent). Für McDonald hat sich die Situation aber gewandelt: „Es kommen derzeit immer mehr innovative Arzneimittel auf den Markt. Sie bieten auch höhere Heilungschancen bei manchen Erkrankungen und eine bessere Lebensqualität. Das wollen wir für unsere Versicherten haben.“

Viele Patente laufen ab

Doch derzeit käme man durch deutlich höhere Preise für innovative Arzneimittel in Probleme. Der HVB-Chef: „Unsere Ausgabensteigerungen dürfen mittelfristig die prognostizierten Einnahmenzuwächse von knapp drei Prozent nicht übersteigen, wollen wir unser soziales Sicherheitsnetz nachhaltig erhalten.“ Um die zu erwartenden „Pharma-Lücke“ zu schließen, solle die Industrie mehr als zuletzt zur Kostendämpfung beitragen.

Im Hintergrund der Angelegenheit steht eine seit einigen Jahren deutliche Verlagerung des Preisspektrums für Arzneimittel. Müller-Uri: „Wir hatten bei den niedrig preisigen Arzneimitteln unter 200 Euro pro Packung in den ersten fünf Monaten dieses Jahres einen Umsatzanstieg um 1,13 Prozent, bei den hochpreisigen Arzneimitteln über 200 Euro pro Packung einen Umsatzanstieg um 22 Prozent.“

McDonald zitierte HVB-Daten, wonach in jüngerer Vergangenheit der Kostenanteil für Präparate mit einem Packungspreis von mehr als 700 Euro von 15 auf 25 Prozent gestiegen sei. „Manche Arzneimittelpackungen kosten bis zu 40.000 Euro und damit so viel wie ein Mittelklassewagen.“

Auf der anderen Seite waren die Krankenkassen in der jüngeren Vergangenheit bei den Arzneimittelausgaben durch international in der Pharmaindustrie schlagend gewordene Entwicklungen eindeutig begünstigt. Viele Patente liefen ab.

Neuer Vertrag gefordert

Laut dem Verband der österreichischen Pharmaindustrie (Pharmig) haben sich demnach seit 2008 Patentabläufe (nachfolgend billigere Generika als die Originalpräprate), Preisnachlässe und Solidarbeiträge der Industrie auf Buchungsseite der Krankenkassen mit rund einer Milliarde Euro im Positiven ausgewirkt. Allein weitere Patentabläufe in den kommenden fünf Jahren würden noch einmal 330 Millionen Euro bringen.

Klar ist aber auch, dass es gerade in den vergangenen Jahren besonders viele Patentabläufe von sehr oft verschriebenen Arzneimitteln (z.B. Cholesterinsenker/Statine oder Blutgerinnungshemmer) gegeben hat. Erst in jüngerer Vergangenheit sprang der Nachschub an innovativen Medikamenten – zum Beispiel zur Behandlung der chronischen Hepatitis C oder für Onkologika – international wieder an.

Laut dem HVB-Chef geben die Krankenkassen in Österreich rund 4,7 Milliarden Euro für die Spitäler aus, für Arzthonorare rund vier Milliarden und 3,2 Milliarden für Heilmittel. Unter Abzug von Mehrwertsteuer (den Krankenkassen refundiert) und der Rezeptgebühr bei den Arzneimitteln bleiben laut Pharmig an Nettokosten (2014) 2,5 Milliarden Euro übrig.

Nun soll eben ein neuer Pharmavertrag her. HVB-Chef Peter McDonald: „Es wurde mit der Pharmawirtschaft ein gemeinsames Paket geschnürt, zu dem beide stehen sollten. Ein Punkt ist die Erhöhung der Rabatte der Industrie für die Krankenkassen von 18 Millionen Euro im Jahr auf 65 Millionen Euro im Jahr sowie eine Preisreduktion von wirkstoffgleichen Medikamenten (Generika; Anm.), die weitere 60 Millionen Euro geringere Kosten für die Versicherungsgemeinschaft bringen würde. Ich weiß, dass das ein großer Schritt ist. Die Pharmawirtschaft hat sich 14 Tage Bedenkzeit ausbedungen. Das Paket ist dort noch nicht mehrheitsfähig, hat man uns mitgeteilt.“

Gespräche für europaweiten Einkauf

Man bleibe offen für Gespräche und Verhandlungen, wenn die „Pharmawirtschaft auf den gemeinsamen Pfad“ zurückkehre und ein „dem Umfang nach gleiches Paket vorschlage“. McDonald: „In anderen Ländern, zum Beispiel in Deutschland oder Italien, hat man gesetzlich Zwangsrabatte verordnet. Das können wir durch eine tragfähige Vereinbarung verhindern.“

Derzeit laufen auch Gespräche der Zahler in den solidarisch aufgebauten Gesundheitssystemen Europas mit der EU-Kommission in Brüssel und mit dem EU-Parlament, um Möglichkeiten für die Gründung einer Struktur für gemeinschaftlichen Arzneimitteleinkauf bei der internationalen Pharmaindustrie sondieren. Hier geht es um eine Gegengewicht zu Angebotsmonopolen. Doch das braucht laut McDonald Zeit, in der Zwischenzeit sollte man innerhalb Österreichs die Kostenentwicklung ausreichend dämpfen, um nicht in Schieflage zu geraten.

Pharmig-Generalsekretär Huber äußerte sich so: „Wir sind optimistisch bezüglich einer Einigung. An manchen Stellschrauben muss noch gedreht werden. Die Gespräche sind unterbrochen, sie sind nicht abgebrochen. Die Industrie und der Großhandel bieten für 2016 Solidarbeiträge in Höhe von insgesamt 70 Millionen Euro an, davon fünf Millionen Euro für Präventionsprogramme und Kindergesundheit im Rahmen der Gemeinsamen Gesundheitsziele.“ Um die vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger ausgemachte Lücke zu schließen, dürfte aber noch die Hälfte fehlen, wenn die „Pharma-Lücke“ sich auch als wirklich so hoch herausstellt.