Das Dorf Hokshe hat einen Spitznamen: Es ist Nepals „Nierenbank“. In der Hoffnung auf ein besseres Leben verkauften viele Einwohner ihre Organe. Doch sie wurden betrogen.

(ES/N24). Kumar Budathoki war arm, wollte seiner Familie ein besseres Leben bieten. So verkaufte er einem Organhändler eine seiner Nieren, für umgerechnet knapp 4000 Euro. Damit, so hoffte er, würde er für den Rest seines Lebens keine Geldprobleme mehr haben. Aber alles, was er bekam, waren lebenslange Gesundheitsbeschwerden und nur ein kleiner Teil des Betrages, den ihm ein zwielichtiger Vermittler in Hokshe zugesagt hatte.
Hoskshe ist ein Dorf mit kleinen Farmen und Lehmhütten – und seit mehr als einem Jahrzehnt als Zentrum des illegalen Organhandels in Nepal bekannt. Nur rund 4000 Menschen leben hier, aber mindestens 121 von ihnen haben eine Niere verkauft, wie Krishna Pyari Nakarmi schildert. Sie hat eine Kampagne gegen diese Geschäfte in Hokshe geleitet und glaubt, dass die wirklichen Zahlen noch weitaus höher liegen könnten. Die Narben lassen sich schließlich leicht unter einem Hemd verbergen, und viele Dorfbewohner sind weggezogen – möglicherweise nach der Operation.
In jüngster Zeit hat es zwar bemerkenswerte Fortschritte im Kampf gegen den Organhandel gegeben, aber die Behörden warnen, dass die Verheißung von Geld diese leicht wieder ausmerzen könnte. Und: Dorfbewohner, die bereits eine Niere verkauft haben, leiden vielfach unter schweren Gesundheitsproblemen. Wie Budathoki, der mit seiner Mutter, seiner Frau sowie zwei Kindern in einem zweistöckigen Lehnhaus wohnt und mit dem Geld für das Organ etwas Land kaufen wollte. „Aber jetzt habe ich keine Arbeit, eine schlechte Gesundheit und keine Zukunft für meine Familie“, sagt der 37-Jährige.
Zu gut um Nein zu sagen
Der Schwarzmarkt für menschliche Organe blüht Experten zufolge rund um die Welt, und Nieren sind die häufigste Ware: Sie können von lebenden Spendern geerntet werden. Aber in Hokshe konnten die Händler über lange Zeit erstaunlich ungestraft operieren. Fast jeder Einwohner scheint jemanden zu kennen, der eine Niere verkauft hat.
Warum das Geschäft gerade hier so verbreitet ist, kann niemand sagen. Es ist nicht das ärmste Gebiet Nepals, und es liegt auch nicht besonders günstig für medizinische Einrichtungen, die Transplantationen vornehmen können. Seit mehr als einem Jahrzehnt haben Organhändler das hoch in den Bergen bei Kathmandu gelegene Dorf im Visier, umwerben Farmer und arme Arbeiter, die oft nicht lesen und schreiben können.
Umgerechnet Hunderte oder Tausende Euro für eine Niere in einem Land, in dem das durchschnittlich Pro-Kopf-Einkommen bei etwa 560 Euro liegt: Das klang für viele einfach zu gut, um Nein zu sagen. So ging es denn zur Operation über die Grenze, nach Indien, wo reiche Patienten auf das Transplantat warteten. Dem Dorf brachte das im Laufe der Jahre einen Spitznamen ein: die „Nierenbank“.
Schwere Gesundheitsprobleme nach Nieren-OP
Zu den Gesundheitsproblemen, unter denen viele jetzt leiden, zählen neben Harntrakt-Beschwerden Schmerzen in den Beinen, Müdigkeit und hoher Blutdruck. Auch wenn ein Mensch mit nur einer Niere normal leben kann, so müssen Patienten nach Angaben von Ärzten doch besonders sorgfältig auf ihre Gesundheit achten, auf das, was sie essen, und sie sollten nur mäßig Alkohol zu sich nehmen. Viele der Spender, die in Hokshe interviewt wurden, sagten, dass sie bei Missernten nicht gesund genug essen könnten – das könnten sie sich nicht leisten. Andere gaben zu, dass sie schwer trinken, oder sie waren während der Interviews offensichtlich alkoholisiert. Viele gaben an, dass sie nicht zum Arzt gingen – aus Angst, dass ihr illegaler Organverkauf auffliegt.
Budathoki hat seine Niere vor 15 Jahren abgegeben. Der Vermittler habe die Risiken der Operation verniedlicht. „Er sagte mir, dass ich zwei Nieren habe und nur eine brauche, die andere sei ein überflüssiges Ersatzteil“, schildert er. „Bis dahin wusste ich nicht einmal, was eine Niere ist und warum und wie viele ich benötige.“ Als er dann zur Operation nach Indien kam, konnte Budathoki nicht verstehen, was die Ärzte sagten. Sie benutzten Tamil und Hindi, er spricht aber nur Nepalesisch. „So habe ich nur genickt und die Papiere unterschrieben.“
Statt der versprochenen 4000 Euro erhielt Budathoki 800, den Rest sollte er nach der Operation erhalten, versprach ihm der Vermittler. „Aber ich wurde bereits zurück (nach Nepal) gebracht, bevor ich mich erholen konnte. Ich war zu schwach, um mich zu streiten oder zu wehren, und ich habe den Vermittler nie wiedergesehen.“ Budathoki ist nach eigenen Angaben so angeschlagen, dass er nicht stundenlang arbeiten, weite Strecken laufen und schwere Gegenstände heben kann.
Auch seine Frau und ein jüngerer Bruder leiden: Sie verkauften ihre Nieren ebenfalls, bevor das Ausmaß der gesundheitlichen Folgen bei Budathoki offensichtlich wurde. Eine jahrelange Kampagne von Sozialarbeitern, stärkere Überwachung und ein entschlosseneres Durchgreifen der Polizei haben schließlich Erfolg gebracht. Seit 18 Monaten hat es keine Nierenverkäufe in Hokshe mehr gegeben, wie Kedar Nepane von der zuständigen Bezirksbehörde sagt.
Zehn Organhändler wurden im vergangenen Jahr festgenommen, drei von ihnen sitzen im Gefängnis, darunter Prem Bajgai, der als Kopf des illegalen Gewerbes gilt. Aber weiter sind Tausende von Nierenpatienten in Indien und auch Nepal bereit, Spender für ein Transplantat zu entlohnen. Das heißt: Die Versuchung bleibt.