Nierennerven-Verödung: Nutzen überschätzt?

Für Patienten, deren Bluthochdruck schwer zu behandeln ist, kommt ein Eingriff an der Niere in Betracht. Eine neue Studie stellt den Nutzen der Methode nun infrage

(ES(AR). Patienten profitieren unterschied­lich gut von Blutdrucksenkern. Manche bleiben sogar mit mehreren Medikamenten weit oberhalb der Zielwerte von unter 140/90 Millimetern Quecksilbersäule (mmHg). Damit tragen sie ein sehr hohes Risiko für Folgekrankheiten wie Herzschäden und Hirninfarkte.
Zerstörung von Nierennerven, um Bluthochdruck zu senken

Diesen Menschen eröffnete ein neues Verfahren die Chance, ihren Bluthochdruck doch noch in den Griff zu bekommen: Ärzte schieben einen Katheter bis in die Nierenarterien hinein und zerstören dort mit Hitze Sympathikusnerven an den Gefäßwänden. Das soll Nervensignale stoppen, die den Bluthochdruck mitverursachen. Der Hintergrund: Die Niere bildet Substanzen, die den Blutdruck regulieren.

Das Veröden der Nierennerven senk­te die Werte im Durchschnitt um 27/17 mmHg – so das Ergebnis der ersten Studie von 2009 nach einem Jahr Nachbeobachtung. In einer zweiten Studie war der obere Wert nach sechs Monaten sogar um 32 mmHg gesunken – großartige Erfolge für Menschen mit zuvor unbehandelbarer Hypertonie.
Neue Studie stellt Nutzen des Verfahrens infrage

Eine im März veröffentlichte US-amerikanische Studie kommt jedoch zu einem ernüchternden Ergebnis: Nach sechs Monaten war der Blutdruck der Behandelten nur um 14,1 mmHg gesunken. Anders als in den beiden vorherigen Studien gab es hier zudem ­­eine Vergleichsgruppe, an der Ärzte nur eine Scheinprozedur durchführten: ­­eine Katheteruntersuchung, ohne die Nerven zu zerstören. Diese Maßnahme senkte den Blutdruck um 11,7 mmHg.

Letzteres überrascht Professor Johan­­n­es Mann nicht. „Auch instrumentelle Scheinbehandlungen haben einen ­­Placebo-Effekt. Er fällt manchmal sogar stärker aus als mit Scheinpräparaten in Medikamententests“, sagt der Leiter der Abteilung für Nieren-, Hochdruck- und Rheumakrankheiten am Städti­schen Klinikum München. Hinzu komme, dass Ärzte ihre Patienten in einer Studie sehr intensiv betreuen und dazu motivieren, die verordneten Blutdrucksenker auch einzunehmen. Die bessere Therapietreue und der Placebo-Effekt erklären also die Wirkung der Scheinprozedur.
Ärzte ziehen unterschiedliche Schlussfolgerungen

Warum aber der tatsächliche Eingriff viel schlechter abschneidet als in den vorherigen Studien, kann Mann nicht deuten. Dr. Joachim Beige hingegen, leitender Arzt des Nierenzentrums am Klinikum Sankt Georg in Leipzig, zieht folgenden eindeutigen Schluss: „Die neuen Daten zeigen: Diese Methode ist wirkungslos.“

Dieser Interpretation widerspricht Dr. Felix Mahfoud. „Die Therapie ist durch diese Studie nicht widerlegt. Das ist den meisten Fachleuten auch klar“, meint der Herzspezialist. Er erforscht an der Klinik für Kar­dio­logie, Angiologie und internistische Intensivmedizin am Universitätsklinikum des Saarlan­des die Nierennerven-Verödung und bietet sie bestimmten Patienten weiterhin an.

Für Mahfoud ist mangelnde Erfahrung mit der Methode in den USA ein wichtiger Grund für die mageren Studienergebnisse. „Über 60 Prozent der behandelnden Ärzte führten diesen Eingriff nur ein- oder zweimal durch. Wahrscheinlich wurden die Nerven nicht effektiv genug verödet.“ Dieses Argument hält Beige für nicht überzeugend: „Ich wüsste nicht, warum dieser Eingriff ausgerechnet in dieser Studie überdurchschnittlich oft falsch ausgeführt sein sollte. Der Katheterhersteller hat die behandelnden Ärzte für diese Methode geschult.“

Kritik an der Studie: Ungeeignete Testpersonen gewählt

Mahfoud sieht in der schlechten Auswahl der Testpersonen eine weitere Schwäche der Studie: „Man muss dafür Patienten auswählen, bei denen noch die Chance auf Verbesserungen besteht. Doch in der US-Studie hatten zu viele Menschen bereits eine fixierte Hypertonie.“ Eine Analyse durch Mahfouds Team an 1.000 weltweit behandelten Patienten ergab, dass jene mit einem Wert von über 159 mmHg eine mittlere Blutdrucksenkung von 21,4 mmHg aufwiesen. Allerdings scheinen Patienten mit milder unkontrollierter Hypertonie auf den Eingriff kaum anzusprechen. Bei Personen mit anfänglichen Werten von 140 bis 159 mmHg war der Blutdruck nach sechs Monaten im Durchschnitt nur um 4,6 mmHg ­gesunken.

Nierennerven-Verödung wurde viel zu oft eingesetzt

Mann, Mahfoud und weitere Experten halten es für sinnvoll, an der Methode festzuhalten. „Doch sie sollte vorerst der Forschung vorbehalten bleiben“, fordert Mann.

Bis zum Bekanntwerden der schlechten US-amerikanischen ­­Ergebnisse sah die Praxis in Deutschland jedoch anders aus. Hier etablierte sich die Nierennerven-Verödung in kürzester Zeit bundesweit. Mehr als 200 Kliniken boten das Verfahren an und behandelten Tausende Patienten ­– darunter viele ohne oder mit nur leichtem Bluthochdruck. Eine Praxis, die Mann heftig kritisiert: „Alle glaubten, das sei die tollste Methode. Um nicht als Hinterwäldler zu gelten, kam niemand umhin, das Verfahren seinen Patienten anzubieten.“

Immerhin scheint die Methode sicher zu sein, wie alle veröffentlichten Studien belegen. Doch bislang liegen auch noch keine Langzeitdaten darüber vor, ob das Zerstören von Nierennerven wirklich keine schädlichen Effekte hat.