
Bei Patienten mit akutem Nierenversagen (ANV) hängt die Entscheidung für oder gegen eine Dialyse von vielen Faktoren ab. Bisher wurde in Studien lediglich untersucht, welche Effekte die Dialyse bei Patienten mit akutem Nierenversagen in Abhängigkeit von verschiedenen Patientencharakteristika hat.
(ES/DÄB). Um jedoch den Nutzen der Dialyse gut beurteilen zu können, sind Vergleiche mit nichtdialysierten Patienten erforderlich. Der Frage, welche Patienten mit akutem Nierenversagen von einer Dialyse profitieren, wurde nun in einer Propensity-gematchten Studie nachgegangen.
„Die Frage nach der Indikation für eine Dialyse bei einem akuten Nierenversagen ist in der Klinik von großer Relevanz“, so Prof. Dr. med. Mark Dominik Alscher, Ärztlicher Direktor, Robert-Bosch-Krankenhaus GmbH, Stuttgart. „Finden sich eindeutige Zeichen der Urämie oder Komplikationen wie etwa Hyperkaliämie, Überwässerung oder Perikarditis, ist dies klinisch zu beantworten. Möchte der behandelnde Arzt aber bereits zuvor den Verlauf günstig beeinflussen, wird bei der Indikationsstellung zur Dialyse immer wieder Bezug auf Laborwerte genommen“, so Alscher weiter.
Die Hypothese zu dieser großen Kohortenstudie war, dass eine Dialyse nicht bei allen Untergruppen von Patienten mit akutem Nierenversagen einen günstigen Effekt auf die Sterblichkeitsrate hat. In der Propensity-gematchten Kohorte von dialysierten und nichtdialysierten ANV-Patienten mit akutem Nierenversagen wurde nach Faktoren gesucht, die die Sterblichkeit modifizieren. Aus der Gesamtkohorte von 6 119 Patienten wurden 602 (9,8 %) innerhalb von zwei Wochen nach Diagnose des ANV dialysiert. Alle Patienten wurden im Median 263 Tage (1 bis 2 429 Tage) nachbeobachtet. In der Gesamtkohorte betrug die Sterblichkeit im Krankenhaus 27 %, nach 90 Tagen 34 % und nach einem Jahr 41 %. Bei den dialysierten Patienten lag sie bei 64 %, 67 % und 79 %. Die Dialyse ging also hier mit einer deutlich erhöhten Mortalität einher (nicht adjustierte Hazard-Ratio [HR] von 3,42 [p = 0,001]).
In der Propensity-Score-Analyse wurden die Daten von 545 dialysierten Patienten mit den Daten von 545 nicht dialysierten Patienten gematcht. Dabei verschwand das durch die Dialyse erhöhte Risiko mit einer HR = 1,01 (p = 0,89). Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die erhöhte Mortalität in der Dialysegruppe der Gesamtkohorte auf patientenbedingte Faktoren zurückzuführen war. Als einziger Faktor, der die Assoziation zwischen Dialyse und Mortalität beeinflusste, wurde das Serumkreatinin identifiziert: Mit jedem Anstieg des Serumkreatinins um 1 mg/dl besserte sich der Effekt der Dialyse auf das Überleben. Wurde die Dialyse bei einer Kreatinin-Konzentration von 3,8 mg/dl und höher begonnen, war der Nutzen größer als der Schaden.
Fazit: Patienten mit ANV und hohen Serumkreatinin-Konzentrationen, die eventuell auf hohe Muskelmasse hinweisen, profitieren von einer Dialyse, während sie bei Patienten mit niedrigen Serumkreatinin-Konzentrationen – eventuell ein Hinweis auf Gebrechlichkeit – eher nachteilige Effekte hat.
Die Ergebnisse der hier vorgestellten Arbeit sind nach Ansicht von Alscher sehr interessant, weil sie beispielsweise für den Harnstoff keine Korrelation mit einer verminderten Mortalität durch Dialyse zeigte. „Allerdings fand sich ab einem Kreatinin-Serumspiegel von ≥ 3,8 mg/dl ein Vorteil der Dialysebehandlung. Der absolute Kreatininwert ist natürlich nicht nur von der Nierenfunktion, sondern auch von der Muskelmasse abhängig, was entsprechend gewertet werden sollte“, kommentiert Alscher. „Trotzdem haben wir sonst wenig gute Hinweise auf die Bedeutung der Retentionswerte bei der Indikation für eine Nierenersatztherapie bei Patienten mit akutem Nierenversagen, insofern helfen die Daten dieser Arbeit. Bei einem akuten Nierenversagen und einem Kreatinin von ≥ 3,8 mg % wäre dies jetzt ein starkes Argument für den Beginn eines Nierenersatzes.“