Abstossungsprophylaxe nach Organtransplantation: Altersadaptierte Immunsuppression

Untersuchungen auf dem Gebiet der Organtransplantation haben gezeigt, dass mit zunehmenden Alter unterschiedlichste Immunkompartimente beeinflusst werden.
Untersuchungen auf dem Gebiet der Organtransplantation haben gezeigt, dass mit zunehmenden Alter unterschiedlichste Immunkompartimente beeinflusst werden.

Spender- und Empfängeralter beeinflussen die Immunantwort nach Organ- transplantation und sollten therapeutisch berücksichtigt werden.

(ES/DÄB). Die steigende Lebenserwartung und breitere Indikationsstellungen führen zu einer Aufhebung von Altersbegrenzungen für komplexe Therapieverfahren. Veränderungen des Immunsystems mit zunehmendem Alter, die sogenannte Immunoseneszenz, haben Einfluss auf viele Krankheitsbilder. Für den Bereich Organtransplantation sind diese Zusammenhänge von besonderer Relevanz und wirken sich auf die Organverteilung und eine altersangepasste immunsuppressive Therapie aus.

Untersuchungen auf dem Gebiet der Organtransplantation haben gezeigt, dass mit zunehmenden Alter unterschiedlichste Immunkompartimente beeinflusst werden. Dabei kommt es nicht in allen Kompartimenten zu gleichen Veränderungen, sondern eher zu „altersspezifischen“ Immunantworten. So sind weniger häufig akute Abstoßungen bei älteren Empfängern festzustellen. Interessanterweise scheint die Immunantwort auch von der Qualität und dem Alter des Spenderorgans beeinflusst zu werden: Ältere oder geschädigte Organe lösen stärkere Immunantworten aus. Insgesamt können das altersabhängige Erkennen von Antigenen und die altersspezifische Immunantwort eine Anpassung der Immunsuppression begründen. Von Bedeutung ist, dass Erkenntnisse auf dem Gebiet der Immunoseneszenz eine breite Auswirkung jenseits der Organtransplantation haben.

Die demografische Entwicklung führt zu einem Anstieg älterer Patienten mit irreversiblem Organversagen. Im Eurotransplant-Raum kam es in den letzten 20 Jahren fast zu einer Verdopplung der Zahl älterer Patienten auf der Warteliste für eine Nierentransplantation (1). Vor diesem Hintergrund wurde von Eurotransplant 1999 das Eurotransplant Senior Programm (ESP) entwickelt. Dieses Verfahren verteilt Nieren von Spendern ≥ 65 Jahren bevorzugt an Empfänger ≥ 65 Jahren. Die Wartezeit der Empfänger im ESP-Programm konnte so signifikant (um über ein Jahr) verkürzt werden. Zusätzlich wurde die Transportzeit durch die lokoregionäre Verteilung der Organe um mehr als sechs Stunden reduziert (2). Ebenso wichtig ist die Zunahme älterer Organspender. So war die Mehrheit der Organspender im Eurotransplant-Raum 2012 älter als 50 Jahre (1).

Die Immunoseneszenz – das Altern des Immunsystems – ist ein physiologischer Prozess, der klinisch mit einer Häufung von Infektionen, Malignomen, Atherosklerose oder neurodegenerativen Veränderungen einhergeht (3, 4). Die Immunkompetenz kann als ein Entwicklungsvorgang verstanden werden, der in seiner frühen Phase noch Unreife zeigt und im Greisenalter an Effizienz einbüßt, wobei es zu altersspezifischen und unterschiedlichen Veränderungen bestimmter Immunkompartimente kommt.

Diese wirkt sich besonders in extremen Altersgruppen aus. So akzeptieren Säuglinge und Kleinstkinder Herztransplantate von Spendern mit inkompatiblen Blutgruppen. Die Unreife der Immunantwort in diesen Altersgruppen zeigt sich hierbei durch das lebenslange Ausbleiben einer Antikörperbildung gegen das inkompatible Blutgruppenantigen (5). Fast könnte man annehmen, dass die immunologische Kompetenz Parallelen zur kognitiven Entwicklung zeigt: In der frühen Phase erscheint die inkomplette immunologische und kognitive Kompetenz einen entwicklungsbiologischen Vorteil zu haben. Die Vergesslichkeit im Alter oder eine altersspezifische, selektive Wahrnehmung ist gleichzeitig nicht nur kognitiv, sondern auch in den immunologischen Veränderungen wiederzufinden.

Bessere Transplantatfunktion

Interessanterweise haben ältere nierentransplantierte Patienten eine erhöhte Überlebensrate und eine verbesserte Transplantatfunktion, wenn man in der Analyse das Versterben mit einem funktionierenden Transplantat berücksichtigt (6, 7). Auffällig ist hier, dass mehr als 50 Prozent aller Todesfälle auf kardiovaskuläre Erkrankungen, Infektionen oder Tumoren zurückzuführen sind – Zusammenhänge, die möglicherweise von der Immunoseneszenz beeinflusst werden (8). Auch gibt es signifikant weniger Abstoßungen im höheren Alter. Dieser Zusammenhang scheint nicht zwangsläufig organspezifisch zu sein (3, 7, 9).

Ältere Organe, die gleichzeitig vulnerabler zu sein scheinen, rufen insbesondere bei jüngeren Empfängern eine verstärkte Immunantwort mit einer höheren Abstoßungsrate hervor. Möglicherweise kommt es bei der Transplantation von alten oder vorgeschädigten Organen zu einer veränderten Antigenerkennung durch „aktivierte“ dendritische Zellen (3). Interessant erscheint hierbei, dass nicht das Organalter „per se“ die Immunogenität bestimmt, sondern dass das Alter der antigenpräsentierenden Zellen von zentraler Bedeutung ist. Wurden antigenpräsentierende Zellen von einem alten auf ein junges Tier übertragen, dann trat auch nach der Transplantation eines jungen Organes eine stärkere Immunantwort auf (10). Von Bedeutung, nicht nur für die Organverteilung, sondern auch für die immunsuppressive Therapie, ist hierbei, dass ältere Organempfänger eine weniger ausgeprägte Immunantwort auf ältere Organe haben (Grafik 1) (1, 11). Folglich wird die erhöhte Immunogenität älterer Spenderorgane durch die weniger effektive Immunantwort der Empfänger kompensiert.
Altersspezifische Wirkungen

Eine adaptierte Immunsuppression im Alter scheint sinnvoll (Grafik 2), obwohl die Datenlage zurzeit noch nicht ausreichend ist. Tierexperimente haben ergeben, dass bestimmte Immunsuppressiva altersspezifisch wirken. So verlängerte beispielsweise die Immunsuppression mit einem Inhibitor des mammalian target of rapamycin (mTOR; Rapamycin/Sirolimus) das Transplantatüberleben bei älteren Empfängern, während andere Immunsuppressiva diese altersspezifische Wirksamkeit nicht zeigten. Dennoch wird die Rolle der mTOR-Inhibitoren bei älteren Patienten kontrovers diskutiert. Unter mTOR-basierten, Calcineurininhibitor (CNI)-freien Protokollen wurden eine verbesserte Transplantatfunktion und eine verminderte Inzidenz von De-novo- Malignomen gefunden (12). Demgegenüber stehen Veränderungen im Lipidstoffwechsel und eine Zunahme von Wundheilungsstörungen und pulmonalen Infekten als Folge der mTOR-Inhibitor-Therapie.
In klinischen Studien mit dem Ziel der Minimierung der Immunsuppression wurde die Dosis von CNI (Ciclosporin A oder Tacrolimus) in älteren Nierentransplantatempfängern reduziert beziehungsweise eliminiert (13). Die Transplantatfunktion verschlechterte sich dadurch nicht. Im Alter könnten auch Interleukin-2-Rezeptor-Antikörper gegenüber Anti-Lymphozyten-Seren von Vorteil sein, um das Infektions- und Malignomrisiko zu reduzieren.

Der Alterungsprozess ist mit klinisch relevanten Veränderungen der Immunantwort verbunden. Diese Erkenntnisse haben weitreichende Auswirkungen über die Transplantationsmedizin hinaus. Neue Strategien in der Immunsuppression sind gefragt, um eine therapeutische Antwort auf die Veränderung des Immunsystems im Alter zu geben. Nicht nur einer Anpassung an das individuelle Risikoprofil, sondern auch eine altersadaptierte Immunsuppression kann dem transplantierten Patienten helfen. Die Allokation älterer Organe an ältere Empfänger ist aufgrund knapper Spenderorgane sinnvoll und kommt gleichzeitig den physiologischen Veränderungen der Immunoseneszenz entgegen.