Bundesländer stecken viel Geld in sinnlose Bauvorhaben im Spitalsbereich. Im normalen Gesundheitssystem herrscht oft erschreckende Gleichgültigkeit.
(03.01.2014 | 18:29 | Anneliese Rohrer (Die Presse)). Bei den meisten Meldungen zum Gesundheitswesen – wie zuletzt beim Streit zwischen Krankenkassen und Ärzten um Computertomografie und MR – taucht das Gespenst der Zweiklassenmedizin auf. Da geht es um Geld, um Patienten, die sich Zusatzversicherungen leisten können und somit eine bevorzugte Behandlung erwarten, und um die anderen. In Wahrheit gibt es in Österreich aber so etwas wie eine Dreiklassenmedizin. Diese hat mit Geld nichts, mit Auftreten, Eloquenz und dem Willen, sich gegen Zustände zu wehren, aber alles zu tun. Und noch mehr mit der weitverbreiteten Einstellung in Österreich, einfach geduldig zu warten, bis man „behandelt“ wird – von Ärzten oder Behörden.
Folgende Episode ist nicht frei erfunden und hat nichts mit persönlicher Betroffenheit zu tun: Eine Krebspatientin wartet auf der Onkologie eines Wiener Topspitals stundenlang, bis sie zur Blutabnahme aufgerufen wird, dann wieder sehr lange auf das Ergebnis. Als endlich grünes Licht für die Chemotherapie gegeben wird, heißt es: „Heute nicht, kein Arzt mehr da, kommen Sie ein anderes Mal.“
Diese Patientin erfragt und findet den Weg zur Ombudsstelle und legt Beschwerde ein. Das Büro ist schwer zu finden (Absicht?), aber sie kämpft sich durch. Wie viele diese Zustände auch inakzeptable fänden, will sie wissen. Ihre sei die zweite Beschwerde, heißt es.
Nun kann man das von zwei Seiten her betrachten: Entweder das Spital und sein System sind so ausgezeichnet, dass es eben keine Klagen gibt. Oder aber: Die Mehrheit der Patienten hat weder die Kraft noch die Bildung noch die Artikulationsfähigkeit noch das Selbstbewusstsein, sich zu wehren. Da die oben beschriebene Szene keine Einzelerzählung ist, wird eher die zweite Sicht zutreffen.
Jeder, der schon einmal in der meist hilflosen Situation war, ärztliche Hilfe entweder in einem Krankenhaus oder auch in einer Ordination in Anspruch nehmen zu müssen, weiß das: Es gibt Menschen, die eine solche Scheu haben, gegen ein „System“ aufzubegehren, sodass sie lieber schweigen, als die Notwendigkeit langer Wartezeiten oder, was noch schlimmer ist, ärztlicher Entscheidungen zu hinterfragen. Da können die entsprechenden Stellen, die Politik, die Kassen und wer immer, noch so häufig vom „mündigen Patienten“ faseln, es gibt ihn viel zu selten.
Meist geht es gar nicht um herablassendes Auftreten von Pflegepersonal und Ärzten oder um deren Gleichgültigkeit (hie und da auch darum), sondern um die Schwächen eines Apparats, um schlechte Organisation und/oder realen Personalmangel. Von den „Kunden“, sprich Patienten, erwartet man, dass sie wortlos Systemfehler, unwillige oder gar keine Kommunikation, ohne zu murren und ohne nachzufragen, akzeptieren. Ihr Körper, ihre Ängste, ihre Hilflosigkeit gegen die Wucht des Apparats!
Es geht um ein System, in dem oft viel Geld in die falschen Projekte gepumpt wird – Geld, das nicht den Patienten dient, sondern dem Bild bei der Eröffnung.
Wie fühlen sich zum Beispiel jene Landespolitiker, die Millionen Euro in eine neue, überdimensionierte Eingangshalle für ein Spital in Niederösterreich investierten, obwohl neue OP-Säle mit neuen Geräten einen Mehrwert für die Patienten gebracht hätten – um weit weniger Geld? Wie fühlen sich die betreffenden Politiker in Oberösterreich vom Landeshauptmann abwärts, wenn sie das Krankenhaus in Enns, 1995 neu erbaut, schleifen und neu bauen lassen – und gleichzeitig über den Ärztemangel im Land jammern? Warum nehmen sie nicht das Geld für Bauvorhaben wie in Enns und das für die gewünschte Med-Uni in Linz noch gleich dazu und erhöhen die Gehälter der Ärzte? Der Mangel wäre schnell behoben.
Das Bedrückende an der Dreiklassenmedizin ist ein System, das sich selbst befruchten kann, weil zu wenige Bürger es vor Ort infrage stellen. Wer sich auflehnt, merkt: Es geht anders. Und die Schweigenden? Das ist inhuman.