Nach dem Transplantationsskandal geht die Zahl der Organspender in Deutschland stark zurück. Mediziner fordern eine breite öffentliche Diskussion. Notwendig sei außerdem eine hohe Transparenz.

(ES/FRR). Ein selbst gebrautes Bier, ausgeschenkt in einer Holzkelle, wurde ihm zum Verhängnis, vermutet Dennis Phillips. Anfang der 80er Jahre passierte das, der junge amerikanische Journalist war damals beruflich in Tibet unterwegs. Wahrscheinlich hat er sich dort mit Hepatitis infiziert. Lange bliebt seine Krankheit unbemerkt. Ständig müde habe er sich gefühlt, erzählt der heute in Deutschland lebende Journalist. Später schwoll seine Bauchhöhle an, die Folge seiner geschädigten Leber, denn um diese zu entlasten, schwemmt der Körper Wasser aus dem Blut dorthin.
Im Laufe der Jahre ging es Phillips immer schlechter, bis zum Tiefpunkt 2006. „Meine Hausärztin sagte mir, ich solle ins Hospiz gehen.“ Doch es kam anders: Der Journalist hatte großes Glück und bekam 2007 an der Universitätsklinik in Mainz eine Leber transplantiert, nur sieben Monate musste er darauf warten: „Mein zweites Leben.“ Heute arbeitet er für eine Selbsthilfegruppe, es gehe ihm gut, sagt er, nur Tabletten, die eine Abstoßung der neuen Leber unterdrücken, müsse er eben lebenslang schlucken.
Die Begegnung mit Dennis Phillips belegt so anschaulich wie berührend den Segen, den Organspenden kranken Menschen bringen können. Doch viele von ihnen haben nicht so viel Glück wie Dennis Phillips und sterben im schlimmsten Fall. „Der Organmangel in Deutschland ist groß“, sagt Professor Ingeborg Hauser, Nephrologin (Nierenärztin) an der Universitätsklinik Frankfurt. Die Spenderzahlen seien „auf einem guten Weg“ gewesen, dann aber „dramatisch“ zurückgegangen, ergänzt ihr Kollege Frank Ulrich von der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am gleichen Haus. Wegen des Organmangels liegt die Wartezeit etwa für Nierentransplantationen – wo die Nachfrage am höchsten ist – derzeit bei mehr als fünf Jahren.
Verloren gegangenes Vertrauen wieder gewinnen
Hintergrund dieser Entwicklung dürfte der Transplantationsskandal an der Uniklinik Göttingen sein. Deren ehemaliger Leberchirurg steht zur Zeit als Hauptbeschuldigter wegen versuchten Totschlags und fahrlässiger Körperverletzung mit Todesfolge vor Gericht, weil er Daten manipuliert und sich so zu Ungunsten anderer Patienten unrechtmäßig Spenderorgane für seine Klinik gesichert haben soll.
Die schlechten Spenderzahlen und ethische Fragen waren ein wichtiges Thema bei der Jahrestagung der Deutschen Transplantationsgesellschaft mit rund 600 Teilnehmern vergangene Woche in Frankfurt. Weitere Schwerpunkte bildeten neue Medikamente zur Unterdrückung der körpereigenen Abwehr, aber auch der Umgang mit Spenderorganen älterer oder auch nicht mehr ganz gesunder Menschen. „Verloren gegangenes Vertrauen in die Organspende muss wieder gewonnen werden“, sagt der Frankfurter Professor Wolf Bechstein, scheidender Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft.
Insbesondere zum Thema „Verteilungsgerechtigkeit“ müsse es eine „breite öffentliche Diskussion“ geben, „die weit über den üblichen Tellerrand eines medizinisch-wissenschaftlichen Kongresses hinausgeht“: „Ärzte können sie nicht alleine führen.“ Problematisch findet der Frankfurter Mediziner in diesem Zusammenhang schon allein die Definition des Begriffs „Gerechtigkeit“: „Heißt das, jeder Patient soll die gleichen Chancen haben?“. Bei der Vergabe stünden die beiden Kriterien „Dringlichkeit“ und „Erfolgsaussichten“ miteinander in Konflikt. Eine klare Regel gibt es bei Kindern: Sie werden grundsätzlich bevorzugt behandelt. Notwendig, so Bechstein, sei zudem eine hohe Transparenz.
Als möglichen Ausweg aus dem „dramatischen Organmangel“ in Deutschland sehen Mediziner zunehmend Lebendspenden von Nieren und Leber an, erklärt Frank Ulrich. Denn Menschen können mit einer Niere weiterleben, und auch von der Leber können Teile gespendet werden, da dieses Organ in der Lage ist, sich zu regenerieren. Beide Operationen können häufig in minimal invasiver Schlüssellochtechnik vorgenommen werden, so dass die Belastung durch den Eingriff möglichst gering ausfällt.
Lebendspende kann unangenehme Folgen haben
Allerdings kann die Lebendspende einer Niere für den Spender hinterher auch unangenehme Folgen haben. Sie werden jetzt in einer neuen Studie untersucht, wie Professor Bechstein sagt. So sollen psychische Probleme bis hin zum Auftreten des mit quälender, chronischer Erschöpfung verbundenen Fatique-Syndroms beobachtet worden sein.
Mit weniger Problemen, als Laien vermuten könnten, ist hingegen das Transplantieren von Organen älterer Menschen verbunden. In Deutschland steigt das Spenderalter stetig an, und es ist durchaus Usus, Organe von über 60-Jährigen zu verpflanzen, erklärt Professor Ulrich: „Auch damit sind gute Ergebnisse zu erzielen.“ Tatsächlich kann die Leber eines über 80-Jährigen, der gesund gelebt hat, leistungsfähiger sein als die eines jungen Menschen, der zu fett gegessen und zu viel Alkohol getrunken hat.
Generell sind die Erfolgsaussichten, das Einsetzen eines fremden Organs möglichst lange zu überleben, in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Bei der Lebertransplantation zum Beispiel liegt die Fünf-Jahres-Überlebensrate mittlerweile bei mehr als 80 Prozent. Das hat auch mit den modernen Medikamenten zur Immunsuppression – sie sollen eine Abstoßung verhindern – zu tun. Neue Biologica sollen zudem helfen, die „Nephrotoxizität“ zu verringern, das heißt, Nierenschäden zu vermeiden.
Ein Mittel, das Toleranz gegenüber einem transplantierten Organ erzeugt, wird es allerdings auf längere Sicht nicht geben, sagt Ingeborg Hauser. Was bedeutet: Patienten müssen dauerhaft Medikamente nehmen, die eine Abwehrreaktion verhindern. Für jemand wie Dennis Phillips ist das allerdings ein geringer Preis.