Wir haben zu wenig Organe

Raimund Margreiter: „Wir haben zu wenig Organe“

Univ. Prof. Dr. Raimund Margreiter
Univ. Prof. Dr. Raimund Margreiter

Der Tiroler Raimund Margreiter feieret am 16. Mai seinen  2011. Geburtstag. Er leistete Pionierarbeit im Bereich der Transplantationschirurgie. 1983 verpflanzte er in Österreich das erste Herz.

Im Jahr 2000 transplantierte Raimund Margreiter Theo Kelz, einem Opfer des Briefbombers Franz Fuchs, zwei neue Hände. 2006 wiederholte er dieses chirurgische Kunststück beim jungen Ukrainer Vasyl Rohovyy. Wir sprachen mit Margreiter über die Entwicklung der Transplantationsmedizin, über Grenzen, Risiken und über Organhandel.

SN: Mittlerweile werden von Chirurgen neue Gesichter geformt. Ist der nächste Schritt die Transplantation eines Gehirns?

Margreiter:
Eine Hirntransplantation wird es nicht geben. Schon deshalb nicht, weil der Gesetzgeber vorgesorgt hat. Er sagt, dass Organe nur von Hirntoten entnommen werden könnten. Ein totes Hirn zu transplantieren, ergibt keinen Sinn. Der Sinn kann ja nur sein, dass man das Gehirn erhält und nicht den Körper. Es gibt Menschen, die einen kranken Körper haben, aber durchaus ein intaktes Gehirn. Da würde man den Kopf mit dem Gehirn auf den Körper verpflanzen bzw. den Körper zu dem Kopf. Man würde dann nicht von einer Gehirntransplantation, sondern einer Ganzkörpertransplantation sprechen. Das wäre theoretisch möglich, da gäbe es auch Indikationen, etwa Patienten mit einer hohen Querschnittslähmung und kaputten Nieren und/oder einer nicht mehr funktionierenden Leber.

SN: Das wäre absolutes Neuland.

Margreiter:
Ja. Aber man kann keine Verbindung zwischen dem zentralen Nervensystem, zwischen Gehirn und Rückenmark herstellen. Man kann es zusammenfügen, aber es gibt noch keine Möglichkeit, es so zu verbinden, dass es auch funktioniert. Das ergibt keinen Sinn, weil der Patient querschnittsgelähmt bleiben würde. Das ist eine Grenze, die wohl nie überschritten wird. Eine andere Grenze sind Organe, die in die Fortpflanzung involviert sind, also Eierstock und Hoden. Weil dann der Vater bzw. die Mutter eines eventuell später gezeugten Kindes ja nicht der leibliche Vater bzw. die leibliche Mutter wäre, sondern der Organspender wäre es. Das geht dann ins Erbrecht und wäre juristisch sehr kompliziert. Aber sonst kann man eigentlich alles transplantieren.

SN: Gesichtstransplantationen sind bereits Standard?

Margreiter:
Nein. Standard sind auch Handtransplantationen nicht. Der Hauptgrund ist, dass mit den derzeitigen Möglichkeiten der Nachbehandlung eine Therapie nur mit immunsuppressiv wirkenden Medikamenten möglich ist. Und die können ja nicht unbeträchtliche Nebenwirkungen haben. Daran wird sich mittelfristig nichts ändern. Man muss immer genau zwischen Vor- und Nachteilen abwägen. Sollte es einmal gelingen, eine sogenannte Immuntoleranz spezifisch zu indizieren, das heißt, Spender und Empfänger zum Zeitpunkt der Transplantation so zu manipulieren, dass späterhin eine Immunsuppression zur Verhinderung von Abstoßreaktionen nicht mehr nötig ist, dann könnte das wirklich einen Boom auf dem Gebiet hervorrufen. Solange das nicht erreicht ist, wird es sich immer um Einzelaktionen und Ausnahmesituationen handeln. Die erste Handtransplantation gab es 1998. Seither wurden nicht mehr als 50 Hände transplantiert. Weltweit. Das ist sehr wenig im Vergleich mit anderen Organen, die zu Tausenden pro Jahr transplantiert werden.

SN: Wie viele Hände transplantierten Sie?

Margreiter:
Ich war in den eigentlichen Akt der Transplantation eigentlich nie involviert. Wir von der Transplantationschirurgie haben uns um die Abklärung des Empfängers, um den Spender und um das postoperative Management gekümmert. In Innsbruck wurden zwei Doppelhand-, zwei Unterarm- und eine Einzelhandtransplantation durchgeführt, also insgesamt sieben Hände. Damit liegen wir weltweit, glaub’ ich, an zweiter Stelle nach Lyon, die neun haben. Bei den Gesichtstransplantationen handelt es sich größtenteils um Teil-transplantationen. Aber es wurden auch schon zwei Fast-Gesichtstransplantationen durchgeführt. Insgesamt gab es weltweit neun derartige Transplantationen.

SN: Wie weit bringen solche Eingriffe die Medizin an ihre finanziellen Grenzen?

Margreiter:
Der finanzielle Aufwand ist vergleichbar mir einem mittelschweren Eingriff. Relativ aufwendig ist die ganze postoperative Nachsorge. Die Rehabilitation und die Physiotherapie. Das kostet relativ viel. Den ersten Patienten, Theo Kelz, der im Jahr 2000 transplantiert worden ist, haben wir ein Jahr lang bei uns behalten. Er absolvierte jeden Werktag fünf bis sechs Stunden Physiotherapie mit zwei Therapeutinnen. Das würde kein Gesundheitssystem überleben. Zwei Behandler für einen Patienten, das war eine absolute Ausnahme.
Der letzte derartige Patient bekam eine Hand transplantiert. Aber da war die Situation eine völlig andere, weil der kann sich ja an der Funktion der anderen Hand orientieren. Das ist anders als hätte er überhaupt keine Hand mehr. Vor allem, weil das Gehirn das Gedächtnis für die Bewegungen verliert. Das muss sich neu bilden. Der, der eine Hand hat, hat zumindest für diese eine Hand das Gedächtnis.

SN: Gibt es in Österreich genug Spender?

Margreiter:
Die Transplantationschirurgie ist ein Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden. Der limitierende Faktor ist heute fast nur noch die Verfügbarkeit. Wir haben zu wenig Organe.
Wir liegen in Österreich, was das Spenderaufkommen anbelangt, weltweit etwa an dritter, vierter Stelle. An sich ist das nach wie vor sehr gut, wobei wir schon einmal viel besser waren. Ende der Achtzigerjahre hatten wir dreißig Spender pro Million Einwohner. Jetzt sind es 24 bis 25 pro Million. Der Bedarf liegt aber bei 30 bis 32.
Unser Ziel muss sein, all diejenigen mit einem Organ zu versorgen, die es brauchen. Den Bedarf kennt man ziemlich genau. Der liegt bei etwa 50 Nieren pro Million Einwohner und Jahr, zwanzig Lebern und bei zehn bis zwölf Herzen. Diese Zahlen sind relativ gut bekannt.
Aber da sind wir, leider Gottes, noch weit entfernt, bzw. haben wir uns wieder davon entfernt.

SN: Warum?

Margreiter:
Das hat mehrere Gründe. Erstens stieg die Sicherheit im Straßenverkehr wesentlich. Bis Mitte der 1990er-Jahre waren zwei Drittel bis drei Viertel der Organspender Hirntote aufgrund eines Unfalls. Nur etwa 25 Prozent waren Schlaganfallpatienten. Das hat sich aufgrund der erhöhten Sicherheit im Verkehr umgekehrt. Was an sich ja wünschenswert ist. Heute haben wir als Spender zwei Drittel Schlaganfallpatienten. Das heißt, wir haben es mit älteren Spendern und damit auch mit weniger geeigneten oder guten Organen zu tun. Das ist die große Herausforderung von heute, dass wir mit diesen nicht idealen Spenderorganen gleich gute oder bessere Ergebnisse erzielen wie früher mit dem typischen jungen Opfer eines Motorradunfalls, der den Hirntod erlitten hat.

SN: Wie lässt sich die Spenderzahl steigern?

Margreiter:
Umfragen zeigen, dass die Spendebereitschaft der Österreicher bei Organen eine sehr große ist. Aber man ist auf die Kooperationsbereitschaft der Mediziner in den peripheren Spitälern angewiesen. An den Zentren, wo transplantiert wird, ist das Bewusstsein geschärft. Aber es gibt weiße Flecken auf der Landkarte. Das hat damit zu tun, dass das unmittelbar keinen positiven Effekt hat für die, die da involviert sind. Das bedeutet im Regelfall für die Ärzte ein hohes Ausmaß an Mehr arbeit. Nicht nur, dass der potenzielle Spender eine relativ aufwendige Pflege erfordert. Es muss eine Reihe an Zusatzuntersuchungen durchgeführt, es müssen zahlreiche Telefonate mit den Transplantationszentren und der Zentrale in Holland geführt werden, wobei die Unkosten seit Jahren vom österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) abgedeckt werden. In Salzburg hatten wir einmal bis zu 16 Organspender pro Jahr, in letzter Zeit ist diese Zahl leider auf fünf bis sechs zurückgegangen. Damit liegt Salzburg österreichweit ziemlich am Ende.

SN: Auf welche Organe bezogen?

Margreiter:
Da geht es um Spender. Man versucht, von einem Spender die Organe zu entnehmen, die funktionell und anatomisch noch in Ordnung sind.

SN: Und Spender bin ich in Österreich, wenn ich einen Spenderausweis habe?

Margreiter:
Im Prinzip gibt es zwei gesetzliche Möglichkeiten, die Organspende zu regeln. Das eine ist die sogenannte Zustimmungslösung, wo ich bei den Angehörigen um Zustimmung einkommen muss und fragen muss: „Sind Sie einverstanden, dass wir ihrem Sohn, ihrem Vater, ihrer Tochter Organe entnehmen?“ Das ist die sogenannte Zustimmungslösung.
Dann gibt es, wie in Österreich, die Widerspruchslösung. Wer nicht seinen Widerspruch zu Lebzeiten deponiert hat, bei dem geht man davon aus, dass er mit einer Organentnahme einverstanden ist. Das kann man deponieren, indem man ein entsprechendes Schriftstück mit sich führt. Oder es gibt die Möglichkeit, sich in einem Register, das vom ÖBIG geführt wird, einzutragen zu lassen: „Ich bin gegen die Organentnahme.“ Wir haben die Verpflichtung als Transplantationszentrum, dort bei jedem potenziellem Spender nachzuschauen. Bei der Entnahme von Händen ist es etwas anders, weil im Gesetz steht, dass die Organentnahme nicht zur Verunstaltung der Leiche führen darf. Deshalb haben wir immer um das Einverständnis gefragt. Weil es nicht immer erteilt wurde, musste Herr Kelz über ein Jahr auf seine Hände warten. Die Empfänger haben sogenannte Schmuckprothesen, die wir den Spendern anlegen, sodass man kaum etwas merkt.

SN: Es gibt Berichte, dass in Afrika, Asien oder Südamerika Kinder getötet und Organe für Transplantationen entnommen werden.

Margreiter:
Organhandel ist eines der ganz großen Probleme. Im Iran wird die Organspende vom Staat kontrolliert. Der Lebendspender bekommt eine bestimmte Summe Geld. In Ländern wie etwa Thailand, den Philippinen, Indien oder im Irak, bleibt das meiste Geld bei den Brokern und bei den Ärzten, die die Transplantation ausführen. Im Iran bekommt hingegen der Spender Geld und eine lebenslange Sozialversicherung. Dem kann ich einiges abgewinnen. Aber es gibt den Organhandel in den genannten Ländern, auch in Ägypten oder etwa in China. Dort ist es besonders verwerflich, weil die Organe Hingerichteten entnommen werden, und zwar in relativ großem Umfang. Da werden an die 3000 Lebern pro Jahr transplantiert, meistens für betuchte Patienten aus dem Westen. Das ist durchaus zu verurteilen.

SN: Wie kann sich ein Chirurg davor schützen, solche Organen zu bekommen?

Margreiter:
Bei uns in Europa ist jeder Spender genau registriert. Jedes einzelne entnommene Organ kann nachverfolgt werden. Das System ist sehr transparent. In Österreich ist gesetzlich vorgegeben, dass Organtransplantationen nur an öffentlichen Krankenhäusern erfolgen dürfen. Sie können mir glauben, es ist nicht machbar, ein Organ in einem Hinterhof zu transplantieren, und in einem öffentlichen Krankenhaus ließe sich so etwas sicherlich nicht verbergen. Die WHO und andere internationale Einrichtungen haben versucht, Berichten über kriminelle Machenschaften, die in Medien auftauchen, nachzugehen. Man kam in keinem einzigen Fall auf den zweiten Informanten, um zu erfahren, wo der seine Information herhat. Da hat es geheißen, in Kolumbien würden Kindern Herzen entnommen. Beim Herz ist die Zeit, die es außerhalb des Körpers bleiben kann, ohne Sauerstoff und Energiezufuhr, auf vier, maximal fünf Stunden begrenzt. Da können Sie ja nicht ein Organ irgendwo in einem Hinterhof in Kolumbien entnehmen und dann in die USA fliegen und einpflanzen. Das geht sich schon logistisch nicht aus. Abgesehen davon, dass so ein kleines Herz von einem Kind ja den Kreislauf eines Erwachsenen gar nicht aufrechterhalten kann.
Aber den Schwarzmarkt im Organhandel, den gibt es. Es wird alles unternommen, um den zu unterbinden, aber die Möglichkeiten sind halt sehr limitiert. Die Chinesen lassen sich mit Sicherheit nicht dreinreden. Ich habe 2010 bei einer Chinareise einen Ex-Mitarbeiter aus China getroffen, der ein großes Transplantationsprogramm leitet und viele Lebertransplantationen durchführt. Auf die Frage, woher denn die Organe kämen, hat er gesagt: „Sie wissen ja, woher wir sie haben.“ Also, die betreiben das, und das ist schon etwas, was mich sehr unangenehm berührt.

SN: Auch vor dem Hintergrund, dass es in China eine Kaste gibt, die sehr reich geworden ist und alles kaufen kann. Auch Organe.

Margreiter:
In der Hauptsache beziehen die ihre Patienten aus dem Ausland. Das ist etwas, was ich persönlich ablehne.
Im Falle von Lebendspenden – sei es Niere oder Leber – versuchen wir in Österreich durch eingehende Gespräche mit Psychiatern und Psychologen zu verhindern, dass irgendwelche Geschäftsinteressen im Spiel sind. Aber wenn einer seinem Bruder eine Niere spendet, und der sagt „Du kriegst dafür einen Hausanteil“, ist das nie mit absoluter Sicherheit auszuschließen.

SN: Welche Rolle spielen in einer bunter gewordenen Gesellschaft religiöse Fragen? bei den Transplantationen?

Margreiter:
Alle Anführer sämtlicher großen Weltreligionen befürworten die Organspende vorbehaltlos. Bis auf die Schintoisten. Die Zeugen Jehovas haben einen ambivalenten Zugang. Aber eigentlich hat nicht einmal der Islam etwas dagegen, obwohl ich sagen muss, dass die Bevölkerungsgruppe, die bei uns dem Islam angehört, sehr zurückhaltend ist bei der Organspende. Wir hatten aus dieser Bevölkerungsgruppe allein in Innsbruck 200 bis 300 Empfänger, aber nur einen Organspender bisher – und der war aus Salzburg. Der behandelnde Arzt hat mir damals gesagt, dass sie einen Psychiater hatten, der sich stundenlang mit den Angehörigen unterhalten hat, und dann haben sie letztendlich zugestimmt. (SN 20.4.2011)