ANÖ Beitrag

4. September 2024

Zur Person: Gerhard Kaniak studierte von 1998 bis 2006 Pharmazie an der Universität Wien. Im Juli 2007 bekam er das staatliche Apothekerdiplom. Seit 2017 gehört Kaniak dem Nationalrat an und ist als Gesundheitsspreher der FPÖ tätig CD:: Parlamentsdirektion/PHOTO SIMONIS
Zur Person: Gerhard Kaniak studierte von 1998 bis 2006 Pharmazie an der Universität Wien. Im Juli 2007 bekam er das staatliche Apothekerdiplom. Seit 2017 gehört Kaniak dem Nationalrat an und ist als Gesundheitsspreher der FPÖ tätig CD:: Parlamentsdirektion/PHOTO SIMONIS

NR-Wahl 2024: Interview mit Gerhard Kaniak, Gesundheitssprecher der FPÖ im Nationalrat

„Als Irrweg betrachte ich das aktuell eingerichtete Bewertungsboard, denn durch dieses wird es zu
langen Verzögerungen bei der Einführung von neuen Therapien kommen, manche werden in
Österreich auch überhaupt nicht mehr angeboten werden.“

Egon Saurer (ES): Sie sind seit 2017 Abgeordneter zum Nationalrat und üben die Tätigkeit als Gesundheitssprecher Ihrer Partei aus? Die Politik hat gelinde gesagt nicht das beste Ansehen in der
Bevölkerung! Wie erlebten Sie die parlamentarische Debatte?

Gerhard Kaniak (GK): Ich habe die Gesundheitspolitik auf Bundesebene seit 2017 versucht aktiv
mitzugestalten. Natürlich war dies aus der Rolle der Regierungspartei leichter als aus der Opposition.
Allerdings hat mir die Position als Obmann des Gesundheitsausschusses ab 2020 geholfen, wichtige
Gesundheitsthemen mit den anderen Gesundheitssprechern ganz unpolitisch außer Streit zu stellen
und gemeinsam durch das Parlament zu bekommen. Ich denke, der grundsätzlich positive und
wertschätzende Umgang, den wir im Gesundheitsausschuss pflegen, kann ein positives Beispiel für
die Politik im Allgemeinen sein. Bei bestimmten „Reizthemen“, die dem Umgang mit der Corona-
Krise, ist aber auch im Gesundheitsbereich der Ton rauer.

ES: Die Krankenkassen wurden zusammengelegt! Die ÖGK schreibt 2023 einen Verlust von 397
Millionen Euro. Neue teure Medikamente kommen auf den Markt. Ist unser Gesundheitssystem bei
anhaltendem Bevölkerungswachstum so überhaupt noch finanzierbar?

GK: Die Reform der Krankenkassen wurde leider auf halber Strecke abgebrochen, denn die
Zusammenlegung war ja nur der erste Schritt. Auf die Zusammenlegung hätte die interne
Organisationsreform und die Leistungs- und Honorarharmonisierung erfolgen sollen. Besonders
innerhalb der ÖGK verharrt man aber noch immer in den alten Strukturen. So wurden die internen
Einsparungen nicht „gehoben“, welche aber für die vielen innovativen und wirksamen neuen
Therapien benötigt werden. Wesentlich für die zukünftige Finanzierbarkeit unseres
Gesundheitssystems wird es sein, die möglichen Einsparungen in der Verwaltung zu verwirklichen
und die vorhandenen Mittel bestmöglich und effizient im Sinne der Versicherten und für sie
einzusetzen.

ES: Die Jahre gab es einen richtigen Innovationsschub in der Nephrologie. Fast wie in der Onkologie
kommen neue Therapeutika auf den Markt, die aufgrund des Patenschutzes sehr teuer sind. Wir
haben derzeit das Problem, dass diese teuren Produkte von den Kassen zum Teil nicht bewilligt
werden! Was sagen Sie grundsätzlich zur Versorgung auch mit teuren Medikamenten?

GK: Natürlich möchte jeder Patient das neuste und beste Medikament. Ob dies im Einzelfall sinnvoll
ist, muss der behandelnde Arzt entscheiden, wobei es leider auch Grenzen der Finanzierbarkeit gibt.
Als Irrweg betrachte ich das aktuell eingerichtete Bewertungsboard, denn durch dieses wird es zu
langen Verzögerungen bei der Einführung von neuen Therapien kommen, manche werden in
Österreich auch überhaupt nicht mehr angeboten werden.
Ich denke, dass die meisten neuen Therapien einen höheren Nutzen und Wert haben, als sie Kosten
verursachen. So gesehen ist jede neue Therapie ein Gewinn. Wesentlich wird es aber in Zukunft sein,
alle „Profiteure“ einer neuen Innovation mitbezahlen zu lassen und die Kosten nicht nur einer Stelle
aufzubürden. Besonders bei der Verlagerung von bisher stationären Therapie in den
niedergelassenen Bereich, z.B. durch eine neue, innovative und patientenfreundliche
Arzneimitteltherapie, braucht es eine Co-Finanzierung.

ES: Patientenvertreter haben sich gegen das neu geschaffene Bewertungsbord für teure
Medikamente ausgesprochen. Patienten müssen die Entscheidungen dieses Gremiums abwarten?
Wie sehen Sie diese Einrichtung?

GK: Wie bereits erwähnt, sehe ich dieses Bewertungsboard sehr kritisch. Ich kenne auch zwei
verfassungsrechtliche Gutachten, die hier eklatante Mängel sehen. Grundsätzlich bin ich davon
überzeugt, dass die bisher von jedem Spitalsträger etablierten klinischen Entscheidungsgremien sehr
gute Arbeit geleistet haben und größte Kompetenz gezeigt haben. Die bessere Lösung wäre aus
meiner Sicht eine Vernetzung dieser Boards und eine gegenseitige Anerkennung der jeweiligen
Bewertung gewesen.

ES: Wir haben vor allem im Großraum Wien viel zu wenige Kassenordinationen. Haben Sie als
Gesundheitspolitiker das Gefühl, dass sich Kassenverträge für Ärzte nicht mehr lohnen oder sind auch
andere Gründe ausschlaggebend für dieses Missverhältnis?

GK: Es ist offensichtlich, dass Kassenverträge in den letzten Jahren immer unattraktiver geworden
sind. Gab es vor 10 Jahren noch Wartelisten auf Kassenverträge, finden sich jetzt trotz 100.000,- Euro
Prämie kaum mehr Ärzte, die als Vertragspartner für die ÖGK arbeiten wollen. Die Zahl der offenen
Stellen steigt immer weiter, gleichzeitig steigt auch die Zahl der Wahlärzte immer weiter an. Es ist
also höchste Zeit für ein Umdenken und ein neues, attraktives Angebot an die (vorhandenen) Ärzte!

ES: In Österreich wird das Gesundheitssystem von Bund, Ländern und der Sozialversicherung
finanziert! Sollte die Finanzierung nicht aus einem Topf erfolgen?

GK: Die Finanzierung aus einer Hand ist schon lange eine Forderung vieler Gesundheitsexperten, der
ich mich anschließe. Allerdings haben wir in Österreich eine derart komplexe Finanzierungsstruktur
im öffentlichen Gesundheitswesen, dass es viele Schritte, einen langen Atem und eine
Verfassungsmehrheit braucht, um dieses Ziel zu erreichen. Leider hat die aktuelle Bundesregierung
mit dem letzten Finanzausgleich die Sache noch weiter verkompliziert und die Strukturen für die
nächsten fünf Jahre einzementiert.

ES: Unbesetzte Kassenplanstellen, überlastete Spitäler, eklatante Lücken beim Personal bei einer
gleichzeitig steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung – das sind nur einige der
gesundheitspolitischen Herausforderungen der nächsten Jahre und für die nächste Legislaturperiode!
Wird die Politik das meistern können?

GK: Wir haben bereits mehrere Anträge für Reformen eingebracht, die aus unserer Sicht auf
gesetzlicher Ebene notwendig sind und eine Trendwende einleiten könnten. Leider haben wir bislang
nicht die erforderliche Mehrheit für unsere Vorschläge gefunden. Aber nicht nur die Politik, sondern
auch die in „Selbstverwaltung“ agierende Sozialversicherung ist gefordert, die notwendigen
Reformen umgehend in Angriff zu nehmen. Zudem braucht es mehr Gesundheitskompetenz jedes
einzelnen, damit unser Gesundheitssystem nicht unnötig belastet wird. Das betrifft nicht nur das
„gesünder“ Leben, sondern auch das richtige Verhalten im Erkrankungsfall, das Aufsuchen der
geeigneten Versorgungsebene und die Prävention (Stichwort „Vorsorgeuntersuchungen“). Es liegt an
uns allen gemeinsam, ob unser System in Zukunft noch eine so hochwertige Versorgungsleistung
bieten kann oder nicht.

ES: Werden wir uns in zehn Jahren das Sozial- Pensions- und Gesundheitssystem noch leisten
können, da immer weniger Nettozahler immer mehr Nettoempfänger schultern müssen?

GK: Die Belastung der „Leistungsträger“ ist bereits jetzt zu hoch und muss gesenkt werden. Unser
Steuer- und Abgabensystem setzt die falschen Anreize, „arbeiten“ bzw. „mehr arbeiten“ lohnt sich in
vielen Fällen einfach nicht mehr. Dabei benötigt unser System aber mehr „Einzahler“, damit es trotz
demographischen Wandels leistbar bleibt. Nur, wenn jeder der kann auch einen fairen Beitrag leistet
und wir die Kostensteigerung durch mehr Treffsicherheit dämpfen sowie den ungezügelten Zuzug in
unser Sozialsystem stoppen, wird unser Sozialsystem leistbar bleiben.

ES: Vielen Dank für das Interview!

Hinweis:

Die Interviews der Gesundheitssprecher auf argeniere.at:
Gesundheitssrecherin der Neos Fioan Fiedler am 21.8.2024
Gesundheitssprecher der Grünen Ralph Schallmeiner am 28.8.2024
Gesundheitssprecher der FPÖ Gerhard Kaniak am 4.9.2024
Gesundheitssprecher der SPÖ Philip Kucher am 11.9.2024
Gesundheitssprecher der ÖVP Josef Smolle am 18.9.2024