ANÖ Beitrag

28. August 2024

Zur Person: Ralph Schallmeiner lebt in Thallheim bei Wels. Der Vater zweier Kinder verbringt seine Freizeit beim Wandern und geht gerne auf Konzerte. Seit 2018 ist Schallmeiner auch Bezirkssprecher der Grünen Wels Land und seit Mai 2019 Landesvorstandsmitglied der Grünen OÖ.@ Parlamentsdirektion/PHOTO SIMONIS
Zur Person: Ralph Schallmeiner lebt in Thallheim bei Wels. Der Vater zweier Kinder verbringt seine Freizeit beim Wandern und geht gerne auf Konzerte. Seit 2018 ist Schallmeiner auch Bezirkssprecher der Grünen Wels Land und seit Mai 2019 Landesvorstandsmitglied der Grünen OÖ. @ Parlamentsdirektion/PHOTO SIMONIS

NR-Wahl 2024: Interview mit Ralph Schallmeiner, Gesundheitssrecher der Grünen im Nationalrat

Bisher hatten und haben wir eine
massiv intransparente Situation bei der Beschaffung von Medikamenten und Therapien in Österreich.
Die Krankenanstalten durften sich untereinander über abgeschlossene Verträge mit der
pharmazeutischen Industrie nicht austauschen.“

Egon Saurer (ES): Sie sind seit 2019 Abgeordneter zum Nationalrat und üben die Tätigkeit als
Gesundheitssprecher Ihrer Partei aus? Die Politik hat gelinde gesagt nicht das beste Ansehen in der
Bevölkerung! Wie erlebten Sie Ihre erste Parlamentsperiode?

Ralph Schallmeiner (RS): Herausfordernd trifft es wohl am ehesten. Aber auch als erfolgreich, wenn
man bereit ist, anzupacken und bereit ist lästig zu sein und nicht aufhört die viel zitierten dicken
Bretter zu bohren. Wir haben einiges weiter gebracht, gerade im Gesundheitsbereich ist uns Vieles
gelungen. Zum Beispiel Reparaturen von Gesetzen, die längst überfällig waren, wie beim
Primärversorgungsgesetz aus dem Jahr 2017, das bis zu unserer Novelle ein wenig effizientes
Werkzeug war. Oder auch große Reformen, wie die erste echte Gesundheitsreform seit mehr als 20
Jahren. Eine Reform übrigens, bei der die Sozialversicherungen erstmals mit mehr Geld aufgestanden
sind. Oder das Psychotherapiegesetz, das uns niemand mehr zugetraut hat, ebenso wie die rasche
Umsetzung des elektronischen Impfpasses und der Endausbau von ELGA. Alles Themen und
Vorhaben, von denen alle Vorgänger:innen im Gesundheitsministerium zwar geredet haben, aber
umgesetzt haben es am Ende wir, und das ohne Marketing-Schmäh-Reformen.

ES: Die Krankenkassen wurden zusammengelegt! Die ÖGK schreibt 2023 einen Verlust von 397
Millionen Euro. Neue teure Medikamente kommen auf den Markt. Ist unser Gesundheitssystem bei
anhaltendem Bevölkerungswachstum so überhaupt noch finanzierbar?

RS: Ja, ist es. Aber nur, wenn wir auch endlich beginnen die längst überfälligen und mittlerweile von
uns angestoßenen Reformen auch umzusetzen. Dazu gehört der Einsatz von Mitarbeiter:innen im
Gesundheitsbereich entlang ihrer Kompetenz und nicht entlang von Standesdünkel und historisch
gewachsenen Strukturen. Dazu gehört die konsequente Nutzung der Digitalisierung, dazu gehört
bessere Aufbereitung von Daten und entsprechend mehr Planung. Ebenfalls gehört die Bereitschaft
zur Umsetzung unserer Strategie „Digital vor ambulant vor stationär“ dazu. Dabei geht es nicht nur
um einen effizienteren Einsatz moderner – vor allem telemedizinischer – Neuerungen, sondern mehr
noch um die Lenkung von Patient:innenströmen ohne Qualitätseinbußen für die Patient:innen selbst.
Es braucht aber genauso die Bereitschaft Doppelgleisigkeiten zu beseitigen. Warum muss ein und
dieselbe Untersuchung binnen weniger Tage stattfinden? In den meisten Fällen, weil einfach die
Ergebnisse nicht vorliegen und nicht greifbar sind. Mit einer voll funktionierenden ELGA können
Gesundheitsdienste auf diese zugreifen. Ein weiterer Punkt wird aber auch die finanzielle
Absicherung der Sozialversicherungen sein. Hier müssen wir uns anschauen, wie wir Schlupflöcher
stopfen können. Ebenso muss aber auch darüber gesprochen werden, dass besonders hohe
Einkünfte aus Kapitalerträgen in Zukunft sozialversicherungspflichtig werden müssen.
In Summe braucht es also eine Mischung aus Einnahmensteigerungen auf der einen, und
effizienterer Mittelverwendung auf der anderen Seite. Das ist dann aber eine Frage des Wollens, und
nicht des Könnens. Wir würden jedenfalls Wollen.

ES: Die Jahre gab es einen richtigen Innovationsschub in der Nephrologie. Fast wie in der Onkologie
kommen neue Therapeutika auf den Markt, die aufgrund des Patenschutzes sehr teuer sind. Wir
haben derzeit das Problem, dass diese teuren Produkte von den Kassen zum Teil nicht bewilligt
werden! Was sagen Sie grundsätzlich zur Versorgung auch mit teuren Medikamenten?

RS: Unser Interesse ist es, dass Produkte möglichst rasch voll umfänglich zur Verfügung stehen, wenn
diese einen nachweislichen Vorteil bieten bzw. neue Möglichkeiten in der Behandlung eröffnen.
Dafür sind die Systempartner auch bereits entsprechend zu bezahlen. Aber es muss dann auch
transparent der Vorteil für das System und die Patient:innen dargelegt werden. Und es bedeutet
auch für die Industrie Verpflichtungen den Patient:innen, dem österreichischen Gesundheitswesen
gegenüber einzugehen. Und genau Letzteres vermisse ich aktuell, stattdessen fordert man immer nur
höhere Preise ohne Verhandlung und Bereitschaft zu Verpflichtungen. Diese Form des
Rosinenpickens wird von mir abgelehnt. Wie können wir also diese Situation lösen? Am ehesten
indem dieses Problem, das auch in ähnlicher Form andere Staaten in Europa haben, auf genau diese
europäische Ebene gehoben wird. Die europäische Pharma-Strategie setzt genau hier an, und
versucht mit einer Mischung aus Anreizen und Verpflichtungen den Unternehmen der
pharmazeutischen Industrie gegenüber, diesen Knoten zu lösen. Aber eines ist klar: auf Freiwilligkeit
vertrauend und ohne Verpflichtung, so wie das immer wieder von der Pharma vorgeschlagen wird,
kann keine sichere Versorgungsstruktur aufgebaut werden. Weder bei „Klassikern“ noch bei
Innovationen.

ES: Patientenvertreter haben sich gegen das neu geschaffene Bewertungsbord für teure
Medikamente ausgesprochen. Patienten müssen die Entscheidungen dieses Gremiums abwarten?
Wie sehen Sie diese Einrichtung?

RS: Wenig verwunderlich bin ich ein Verfechter dieses Boards. Bisher hatten und haben wir eine
massiv intransparente Situation bei der Beschaffung von Medikamenten und Therapien in Österreich.
Die Krankenanstalten durften sich untereinander über abgeschlossene Verträge mit der
pharmazeutischen Industrie nicht austauschen. Nutzen und Kosten von vor allem innovativen
Produkten und Therapien wurden bei jedem Krankenanstaltenbetreiber unterschiedlich bewertet.
Dieser Zustand hat den Patient:innen nichts gebracht, weil noch nicht einmal damit sicher gestellt
war, dass Patient:innen in Burgenland denselben Zugang zu Innovationen hatten wie jene in der
Steiermark oder in Niederösterreich. Mit dem Bewertungsboard schaffen wir die benötigte
Transparenz, was halt den bisherigen Profiteuren wenig gefällt. Zudem wurde mit der
Geschäftsordnung des Bewertungsboards sichergestellt, dass Patient:innenvertreter auch in den
Bewertungsprozess miteinbezogen werden können. Auf der anderen Seite wird aber die
Entscheidungshoheit der behandelnden Ärzt:innen nicht in Frage gestellt, denn Mediziner:innen
können immer – auch noch während eines Bewertungsvorgangs – im Rahmen ihrer ärztlichen
Kompetenz eine Therapie verordnen. Auch hier haben wir sehr wohl darauf geachtet, dass das Wohl
der Patient:innen weiter im Fokus steht. Zudem sei erwähnt, dass das Bewertungsboard beim
Bewerten natürlich auf internationale Standards in Form von HTA (Health Technology Assessement)
zurückgreift. Die Polemik mancher in diesem Zusammenhang geht also auch hier ins Leere.

ES: Wir haben vor allem im Großraum Wien viel zu wenige Kassenordinationen. Haben Sie als
Gesundheitspolitiker das Gefühl, dass sich Kassenverträge für Ärzte nicht mehr lohnen oder sind auch
andere Gründe ausschlaggebend für dieses Missverhältnis?

RS: Auch hier gibt es nicht die eine einfache Antwort. Wenn wir uns Studien und Erhebungen zur
Motivation junger Mediziner:innen in den niedergelassenen Bereich zu gehen anschauen, dann
merken wir, dass das Geld allein nicht immer der Punkt ist. Es geht nicht selten um die Frage wie
gearbeitet werden soll. Junge Mediziner:innen sind es aus ihrer Ausbildung heraus gewohnt stärker
teamorientiert in multiprofessionellen und interdisziplinären Teams zu arbeiten, und wollen das auch
„draußen“ im niedergelassenen Bereich. Sie wollen auch nicht mehr 24 Stunden, 7 Tage in der
Woche der Gemeindearzt sein, sondern achten mehr als die bisherigen Ärzt:innen-Generationen auf
Work/Life-Balance und auf die eigene Energie und Lebensqualität. Dazu kommen die
Bürokratieungetüme in Form von Abrechnungen und Dokumentationspflichten. Plus zusätzliche
Herausforderungen, weil sich auch die Aufgabenstellungen immer wieder verändern. Das alles
spüren niedergelassene Ärzt:innen deutlich schneller und mehr. Wenn dann auch noch die
Honorierung nicht passt, oder man wie bei uns in Oberösterreich bei bestimmten Behandlungen
auch noch eine Deckelung hat, dann ist es nachvollziehbar, wenn Mediziner:innen immer seltener
einen Kassenvertrag annehmen. Wir haben daher mit der Gesundheitsreform im Rahmen des
Finanzausgleichs genau hier angesetzt: die Sozialversicherungen sind zum ersten Mal nicht mit
einfach mehr Aufgaben vom Verhandlungstisch aufgestanden, sondern vor allem einmal mit mehr
Mittel, konkret mit 1,5 Milliarden Euro auf 5 Jahre – also 300 Millionen pro Jahr. Dazu kommt, dass
wir beim Primärversorgungsgesetz dem Anspruch junger Mediziner:innen nach Verantwortung auf
mehrere Schultern und Teamwork Rechnung getragen haben. Die Neugründungen von PVE
(Primärversorgungseinheiten) sind die harte Währung, die uns zeigt, dass es gescheit war, diesen
Reformschritt auch gegen den Widerstand der Ärztekammer durchzutragen. Was aber auch klar ist:
es wird einen einheitlichen, modernen und vor allem leistungsorientierten neuen Gesamtvertrag mit
denselben Leistungen und Umfang in allen Bundesländern mit den niedergelassenen Ärzt:innen im
Land brauchen. Auch, wenn wir alle Rahmenbedingungen verbessern, wird es auch beim Honorar
Lösungen brauchen.

ES: In Österreich wird das Gesundheitssystem von Bund, Ländern und der Sozialversicherung
finanziert! Sollte die Finanzierung nicht aus einem Topf erfolgen?

RS: Klare Frage, klare Antwort: ja. Nachdem das aber aus heutiger Sicht zumindest mittelfristig nicht
kommen wird, wollen wir zumindest einmal ein Entwirren und klare Zuständigkeiten bzw.
Verantwortungen. Dieses „Jede:r darf mitreden und kann verhindern, aber kaum wer hat die
Kompetenz zu entscheiden“ ist ein Unding, ebenso der starke föderale Aspekt in unserem
Gesundheitswesen. Es ist nicht erklärbar, warum ein Bundesland, das gerade einmal 5.000
Einwohner:innen hat, eigene Strukturen betreibt und unterhält. Auch sowas führt zu Ineffizienz.

ES: Unbesetzte Kassenplanstellen, überlastete Spitäler, eklatante Lücken beim Personal bei einer
gleichzeitig steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung – das sind nur einige der
gesundheitspolitischen Herausforderungen der nächsten Jahre und für die nächste Legislaturperiode!
Wird die Politik das meistern können?

RS: Auch hier ein klares „Ja“. Weil wir es meistern müssen. Ein Scheitern in dieser Frage ist schlicht
keine Option. Mit den Reformen dieser Gesetzgebungsperiode ist hier einiges möglich, vor allem
bekommen wir so endlich die viel zitierte „Kuh vom Eis“.

ES: Werden wir uns in zehn Jahren das Sozial- Pensions- und Gesundheitssystem noch leisten
können, da immer weniger Nettozahler immer mehr Nettoempfänger schultern müssen?

RS: Auch hier verweise ich auf meine Antwort weiter oben. Ja, werden wir. Aber nur, wenn wir auch
bereit sind uns der Herausforderungen zu stellen, zu evaluieren und bereit sind auch Ineffizienzen zu
beseitigen bzw. Schlupflöcher zu stopfen. Das Ziel der Grünen ist es jedenfalls, dass in Zukunft wieder
die eCard statt der Kreditkarte zählt. Dafür braucht es aber keine netten Parolen und da bringt uns
Schlechtreden nichts, sondern da hilft nur, dass alle ihre Beiträge leisten.

ES: Vielen Dank für das Gespräch!

Hinweis:

Die Interviews der Gesundheitssprecher auf argeniere.at:
Gesundheitssrecherin der Neos Fioan Fiedler am 21.8.2024
Gesundheitssprecher der Grünen Ralph Schallmeiner am 28.8.2024
Gesundheitssprecher der FPÖ Gerhard Kaniak am 4.9.2024
Gesundheitssprecher der SPÖ Philip Kucher am 11.9.2024
Gesundheitssprecher der ÖVP Josef Smolle am 18.9.2024