ANÖ Beitrag

8. Juli 2024

Zur Person: Der in Brixlegg in Tirol geborene und sub auspiciis praesidentis promovierte Mediziner war bis zu seiner Pensionierung Primararzt am LKH Feldkirch, für seine wissenschaftlichen Publikationen wurde Univ.-Doz. Dr. Karl Lhotta eine Ehrenprofessur der Medizinischen Universität Innsbruck verliehen. ©VNT/Archiv
Zur Person: Der in Brixlegg in Tirol geborene und sub auspiciis praesidentis promovierte Mediziner war bis zu seiner Pensionierung Primararzt am LKH Feldkirch, für seine wissenschaftlichen Publikationen wurde Univ.-Doz. Dr. Karl Lhotta eine Ehrenprofessur der Medizinischen Universität Innsbruck verliehen. ©VNT/Archiv

Interview mit Univ. Doz. Prof. Dr. Karl Lhotta

„Ich habe die Entscheidung, in die Nephrologie zu gehen, keinen Tag bereut. Die Arbeit mit den Patienten und Patientinnen war immer sehr spannend, sowohl fachlich als auch emotional.“

Egon Saurer (ES): Sie befinden sich seit Herbst 2023 im Ruhestand. Sie stammen aus Brixlegg in Tirol
und haben „sub auspiciis praesidentis“ Medizin promoviert. Was hat Sie bewogen das Additivfach
Nephrologie auszuwählen?

Karl Lhotta (KL): Ich habe 1987 an der Klinik in Innsbruck meine Facharztausbildung begonnen. Paul
König, damals Oberarzt, hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, im damals sehr kleinen Team der
Nephrologie mitzuarbeiten. Ich habe sofort ja gesagt, da mich die Physiologie der Niere schon
während des Medizinstudiums fasziniert hatte. Wir waren damals nur zu dritt, Prof. Dittrich, Paul
König und ich als junger Assistent. Das hat mich vom ersten Tag an schon ziemlich gefordert. Ich habe
die Entscheidung, in die Nephrologie zu gehen, keinen Tag bereut. Die Arbeit mit den Patienten und
Patientinnen war immer sehr spannend, sowohl fachlich als auch emotional. Kein anderes
Sonderfach der Inneren Medizin ist so komplex wie die Nephrologie. Ein besonders schöner Aspekt
des Faches ist, dass wir die Patienten oft über viele Jahre oder gar Jahrzehnte betreuen, von der
Diagnose über die Dialysezeit bis zur Transplantation. Man erlebt als Arzt die Höhen und Tiefen der
Patienten mit, leidet und freut sich mit ihnen.

ES: Zunächst praktizierten Sie ja in Innsbruck, wo ich Sie bereits 1994 kennenlernte. Was hat Sie
bewogen später in das LKH Feldkirch zu wechseln, um dort das Primariat anzunehmen?

KL: Das ist natürlich zu allererst der Wunsch, Dinge so gestalten zu können, wie man sie sich vorstellt.
Natürlich treibt einen auch der Ehrgeiz. Ich habe meinen Vorgänger Ulrich Neyer ja schon viele Jahre
gekannt, und es war schon lange mein Ziel, seine Nachfolge anzutreten. Ich konnte in Feldkirch eine
bestens funktionierende Abteilung und ein schlagkräftiges Team übernehmen. Ich kann mich noch
gut erinnern, ein Kollege hat mich damals gewarnt: Ich würde mir diesen Schritt gut überlegen, die
Vorarlberger sind sehr kritische Leute. Aber ich habe auch diesen Schritt nie bereut. Wenn du gute
Ideen hast, dann kannst du die in Vorarlberg gut umsetzten, besser als anderswo. Es gibt dort ein
Klima des Zusammenhalts und der Wertschätzung. Besonders freut es mich, dass die Abteilung für
Nephrologie auch nach meiner Pensionierung weiter erhalten bleibt, was in Zeiten wie diesen keine
Selbstverständlichkeit ist. Die Versorgung von Patienten und Patienten mit Nierenerkrankungen in
Vorarlberg erfolgt auf allerhöchstem Niveau, und alle, die dazu ihren Beitrag leisten, können stolz
darauf sein.

ES: Sie haben sich der Wissenschaft verschrieben, so unterrichteten Sie auch am Akademischen
Lehrkrankenhaus in Feldkirch! Was bedeutet die Wissenschaft in ihrem Leben?

KL: Na ja, wirklich der Wissenschaft verschrieben habe ich mich nicht, im Vordergrund stand für mich
immer die klinische Tätigkeit. Die Wissenschaft war eher Hobby, getrieben von Neugier und natürlich
auch ein bisschen Ehrgeiz. Sie lehrt uns aber auch, uns intensiv mit den Dingen auseinander zu
setzten, was letztendlich auch der Patientenversorgung zu Gute kommt. Wissenschaft muss Spaß
machen, darf nicht als Last empfunden werden. Wir hatten in Feldkirch immer gute Ideen, die auch
mit unseren bescheidenen Ressourcen umsetzbar waren. Im Nachhinein bin ich selber erstaunt, dass
wir in den 15 Jahren mehr als 100 wissenschaftliche Beiträge publizieren und auch Preise gewinnen
konnten.

ES: Nach einem Stillstand in der Forschung und Entwicklung, erleben wir gegenwärtig in der
Nephrologie (neue Medikamente) einen großen Umbruch! Wie haben Sie die letzten Jahre die
Entwicklung in der Nephrologie verfolgt?

KL: Es ist wirklich erstaunlich, was sich da gerade tut. Das Ganze hat mit der eher zufälligen
Entdeckung der progressionshemmenden Effekte der SGLT2-Hemmer begonnen. Und jetzt geht es
Schlag auf Schlag. Weitere nephroprotektive Medikamente, Antikörper und Komplementhemmer zur
Therapie der IgA Nephropathie, RNA-Therapien werden unsere therapeutischen Möglichkeiten in
ungeahntem Ausmaß erweitern.

„Und vielleicht steht ja endlich sogar die Xenotransplantation von Schweinenieren vor der Umsetzung in die klinische Praxis.“

Neue Therapieansätze (entwickelt von der Wiener Nephrologie) gibt es auch für die humorale Abstoßungsreaktion von Nierentransplantaten. Und vielleicht steht ja endlich sogar die Xenotransplantation von Schweinenieren vor der Umsetzung in die klinische Praxis.
Die aktuelle Innovationskraft in der Nephrologie ist geradezu unglaublich. Eigentlich ist jetzt der
denkbar schlechteste Zeitpunkt, um in Pension zu gehen. Es hätte mir große Freude bereitet, diese
neuen Therapien in der Patientenbetreuung umzusetzen.

ES: Sie haben sich wissenschaftlich seit Jahrzehnten mit der Nephrologie befasst! Wie wird die
nephrologische Versorgung in einigen Jahrzehnten Ihrer Meinung nach aussehen?

KL: Das ist natürlich schwer abzuschätzen. Das Problem Progressionshemmung chronischer
Nierenerkrankungen wird wahrscheinlich in absehbarer Zeit weitgehend gelöst sein. Für die meisten
Nierenerkrankungen wird es auch eine kausale Therapie geben. Eine wichtige Frage ist: werden wir
noch eine Nierenersatztherapie brauchen und wie wird diese aussehen? Die derzeitige sehr
aufwändige und belastende Dialysetherapie wird es, hoffentlich, nicht mehr geben. Vielleicht sind wir
irgendwann in der Lage, aus Stammzellen nierenähnliche Organe zu erzeugen. Oder vielleicht
züchten wir genetisch modifizierte Schweine, deren Nieren wir jederzeit ohne Immunsuppression
transplantieren können? Ich denke, das sind realistische Ansätze. Ein wichtiges Ziel ist auch, diese
Therapien dann für alle Menschen global verfügbar zu machen. Vielleicht ergeben sich durch die
Effekte des Klimawandels, die auf eine alternde Bevölkerung treffen, ganz neue Problemfelder für die
Nephrologie.

ES: Die ÖGN geht von ca. 10 Prozent, also 900 000 Nierenkranken in Österreich aus, aber die meisten
Patientinnen und Patienten wissen gar nichts davon. Kann unser Gesundheitssystem eine solchen
Welle an Erkrankungen noch stemmen?

KL: Die Antwort ist ja. Es braucht dazu aber einige notwendige Anpassungen. Eine Früherkennung
chronischer Nierenerkrankungen bei Risikogruppen ist zwingend notwendig. Und dann gehören
natürlich alle progressionshemmenden Therapien eingesetzt. Dazu wird es eine strukturierte
Therapie, zum Beispiel als disease management Programm für chronische Nierenerkrankungen in
allgemeinmedizinischen Praxen, brauchen.

„Im Vordergrund steht aber, dass wir sehr viel menschliches Leid verhindern könnten.“

Auch nephrologisch ausgebildete Kolleginnen und Kollegen als niedergelassene Fachärzte werden einen wichtigen Beitrag leisten. Wahrscheinlich macht es auch Sinn, einmal im jungen Erwachsenenalter in der Allgemeinbevölkerung ein Screening für Nierenerkrankungen durchzuführen, da uns sonst Erkrankungen wie die IgA Nephropathie, die wir jetzt gezielt behandeln können, entgehen würden. Wenn das alles nicht gelingt, werden wir die Dialysekapazitäten weiter ausbauen müssen, und das ist teuer und personalintensiv. Im Vordergrund steht aber, dass wir sehr viel menschliches Leid verhindern könnten.

ES: Unter Ihrer Führung wurde in Vorarlberg gemeinsam mit dem Vorarlberger Patientenverein das
Projekt „Niere 60/20“ umgesetzt und das Land Vorarlberg hat die Nierenerkrankungen in die
Präventionsstrategie des Landes aufgenommen! Ein neues Dialysezentrum entsteht in Rankweil! Sind
Sie für Vorarlberg zuversichtlich?

KL: Da bin ich sehr optimistisch. Vorarlberg ist sehr gut aufgestellt und könnte so etwas wie eine
Modellregion für die Versorgung von Patienten mit Nierenerkrankungen werden. Es liegt jetzt an den
niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, dieses Konzept umzusetzen, nach der Früherkennung
massiv in die Progressionshemmung einzusteigen. Wir haben vor Jahren das Konzept 60/20 den
Ärztinnen und Ärzten in vielen Veranstaltungen nähergebracht. So etwas ist jetzt auch wieder
notwendig, um die neuen Erkenntnisse in der Progressionshemmung flächendeckend-am besten in
Form eines disease management Programms-zur Umsetzung zu bringen.
Die zentrale Dialyse in Rankweil ist ebenfalls ein wichtiger Schritt. Dadurch wird einerseits das
Problem Personalmangel etwas entschärft, und andererseits wird auch die Versorgungsqualität
durch ständige Anwesenheit eines Facharztes, einer Fachärztin für Nephrologie optimiert. Auch die
Anbindung an das Zentrum im LKH Feldkirch wird verbessert. Das alles kommt unseren Patienten zu
Gute und rechtfertigt die für den einen oder anderen etwas längere Anfahrtszeit.

ES: Welche Erfahrungen haben Sie in der Zusammenarbeit mit Patientenvereinen und wie sehen Sie
die Zukunft dieser Organisationen in der gegenwärtigen Situation:

KL: Wir hatten in Vorarlberg immer eine gute Zusammenarbeit. Nur so konnten wir Projekte wie die
mobile Dialyse oder Früherkennung chronischer Nierenerkrankungen umsetzen. Der Verein hat sich
auch darum bemüht, der Nephrologie im Bewusstsein der Politik und der Öffentlichkeit die
notwendige Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

Den Patientenvereinen wird in Zukunft noch
wesentlich mehr Bedeutung zukommen.“

In den bevorstehenden Zeiten der Verknappung von finanziellen Ressourcen und Personal wird das besonders wichtig sein, um die optimale nephrologische Versorgung sicherzustellen. Also klar: den Patientenvereinen wird in Zukunft noch wesentlich mehr Bedeutung zukommen. Zuletzt möchte ich mich noch bei allen Mitgliedern und insbesondere beim Vorstand der Arge Niere für den unermüdlichen Einsatz bedanken, in der Vergangenheit und besonders in der Zukunft

ES: Vielen Dank für das Interview!