Pflegeregress wird abgeschafft – Foto auf E-Card kommt

Länder erhalten 100 Millionen jährlich, Gegenfinanzierung über Bekämpfung von E-Card-Betrug geplant. Ab 2019 werden nur noch E-Cards mit Foto ausgegeben

(ANÖ/APA). Wien – Der Pflegeregress wird abgeschafft. Darauf haben sich SPÖ und ÖVP geeinigt. Der entsprechende Beschluss wird bereits am Donnerstag vom Nationalrat gefällt. Zur Kompensation ihrer Einnahmenausfälle erhalten die Länder zumindest 100 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich. Derzeit sieht das System so aus, dass nicht nur der größte Teil des Pflegegelds und der Pension für Pflege im Heim herangezogen wird, sondern auch allfälliges Privatvermögen der Betroffenen. Selbst bei Schenkungen kann noch einige Jahre etwa auf übertragene Wohnungen zugegriffen werden. Die Länder haben dabei unterschiedliche Regelungen. Nunmehr wird ihnen per Verfassungsgesetz dieser Regress untersagt.

Fotos auf E-Card

Als eine der Maßnahmen zur Gegenfinanzierung haben sich SPÖ und ÖVP darauf verständigt, dass im Sinne der Betrugsbekämpfung ein Foto auf die E-Card kommt. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger zeigt sich bisher allerdings über diesen Vorschlag wenig erfreut: Im ersten Jahr würde diese Änderung auf der E-Card etwa 18 Millionen Euro kosten. „Das übersteigt die Schadenskosten“, erklärt ein Sprecher und verweist auf die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage vom April. Demnach gab es zwischen 2014 und 2016 in Wien 21 Betrugsversuche mit einer E-Card, die Schadenskosten betragen etwa 7.000 Euro. Im Vergleichszeitraum wurden in Kärnten 154 Fälle gemeldet. Ab 2019 sollen nur noch E-Cards mit Foto ausgegeben werden, der Austausch bis 2023 abgeschlossen sein. Die Fotos sollen von den Passämtern übermittelt werden. Hauptverbands-Chef Alexander Biach ist mit der vereinbarten Regelung für ein verpflichtendes Foto auf der E-Card im Gegenzug zur Abschaffung des Pflegeregresses zufrieden. Er finde sich in dem Vorschlag der Regierungsparteien wieder, sagte Biach im Gespräch mit der APA. Wichtig sei ihm, dass es für Versicherte und Sozialversicherung kostengünstig und technisch leicht realisierbar sei. Die Fotos können aus Beständen der Landes- und Bundesbehörden, das heißt in der Regel von den Passämtern, übernommen werden. Damit entstünden den Bürgern keine zusätzlichen Kosten und auch für die Sozialversicherung gebe es keine Belastung. Durch den möglichen Zugriff auf die Fotobestände der Bundes- und Landesbehörden sei auch eine technisch leicht realisierbare Lösung gefunden worden. Außerdem ist vorgesehen, dass erst Jugendliche ab 14 Jahren das Foto auf der E-Card haben müssen. Zum Einwand, dass er sich ursprünglich eine freiwillige Lösung gewünscht habe, erklärte Biach, ein freiwilliges Element sei dadurch gegeben, dass erst ab 2023 die Verpflichtung für das Foto auf der E-Card bestehe. Für die Sozialversicherung habe dies auch den Vorteil, dass ab 2020 eine neue Generation von E-Cards kommen wird und das Austauschprogramm dann bis 2023 durchgezogen werden könne.

Gratisimpfung für Freiwillige Feuerwehr

Einsparungen erhofft man sich auch dadurch, dass Pflegeheime künftig Arzneimittel direkt einkaufen können. Von der Koalition umgesetzt wird auch ein langjähriges Anliegen der Feuerwehren. Mitarbeitern der freiwilligen Feuerwehren wird wegen ihrer besonderen Gefährdung eine Gratisimpfung für Hepatitis A und B zugestanden. Verbesserungen kommen auch für Angehörige, die behinderte Kinder pflegen. Für sie wird die Möglichkeit ausgeweitet, sich nachträglich beitragsfrei selbst versichern zu lassen. ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger zeigt sich davon angetan, dass eine schnelle und unbürokratische Regelung zur Abschaffung des Pflegeregresses gefunden worden sei. Gleichzeitig sei es auch gelungen, Maßnahmen zur Gegenfinanzierung zu fixieren, sagt er zur APA. SPÖ-Klubchef Andreas Schieder freut sich über einen guten Tag insbesondere für jene 40.000 Familien, die einen Pflegefall in der Familie hätten und zusätzlich dazu von Enteignung durch den Pflegeregress betroffen seien.

Abstimmung am Nachmittag

Abgestimmt wird das Gesetzespaket am Nachmittag im Nationalrat. Da es sich bei der Abschaffung des Regresses um eine Verfassungsbestimmung handelt, bedarf es der Zustimmung von FPÖ oder Grünen. Das dürfte aber Formsache sein. Die 100 Millionen für die Länder sind übrigens nicht absolut zu sehen. Sollten die finanziellen Auswirkungen größer sein, werden zusätzliche Gelder zur Verfügung gestellt.

Kritik von Neos, Lob von FPÖ und Team Stronach

Die vereinbarte Abschaffung des Pflegeregresses stößt bei den Neos auf Kritik. Lob kommt hingegen vom Team Stronach, auch die Seniorenorganisationen und die Gewerkschaft sind erfreut. Unterstützung kommt auch aus Oberösterreich und Wien. Für Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker ist der Pflegeregress in seiner derzeitigen Form zwar „inakzeptabel“, mit der „hastigen Einigung“ von SPÖ und ÖVP auf eine Abschaffung ortet er aber eine Entwicklung in Richtung Wahlkampf 2008, als milliardenschwere Wahlzuckerl verteilt wurden. „Mit populistischen und kurzsichtigen Ansagen gewinnt man vielleicht ein paar Wählerstimmen“, das gehe aber auf Kosten der Steuerzahler. „Denn woher die zusätzlichen 100 Millionen Euro kommen sollen, kann und will keiner der Regierungsvertreter sagen. Ein Foto auf der E-Card wird jedenfalls für eine umfassende Gegenfinanzierung kaum ausreichen“, meinte Loacker, der überzeugt ist, dass die Abschaffung des Pflegeregresses letztlich weit mehr kosten wird. FPÖ-Behindertensprecher Norbert Hofer sprach hingegen von einem „großen Erfolg“ für die FPÖ und meinte, dass die pflegebedürftigen Menschen und ihre Angehörigen nun aufatmen könnten. Durchgesetz habe sich die FPÖ nicht nur beim Pflegeregress sondern auch beim Foto auf der E-Card, meinte der Dritte Nationalratspräsident. Team Stronach-Gesundheitssprecherin Ulla Weigerstorfer freute sich ebenfalls, dass mit der Abschaffung des Pflegeregresses auch das Foto auf der E-Card beschlossen werden soll. Damit werde ein Forderung des Team Stronach umgesetzt. Im Mai sei ein Antrag ihrer Partei dafür von SPÖ und ÖVP noch abgelehnt worden, jetzt im Wahlkampf werde das Foto doch beschlossen, so Weigerstorfer. „Längst überfällig“ war die Abschaffung des Pflegeregresses für den stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaft vida, Willibald Seinkellner, der meinte: „Österreich wurde heute ein weiteres Stück sozial gerechter.“ Euphorisch reagierten die Seniorenorganisationen auf die Abschaffung des Pflegeregresses. „Österreich ist Pflegeregress-frei“, jubelte der Präsident des SPÖ-Pensionistenverbands, Karl Blecha. „Höchst erfreut“ zeigte sich die Präsidentin des ÖVP-Seniorenbundes, Ingrid Korosec, über den „richtungsweisenden Beschluss, der voll im Sinne aller Betroffenen“ sei. Die verpflichtende Einführung eines Fotos auf der E-Card ist für Korosec „ein wichtiges Werkzeug im Kampf gegen Sozialmissbrauch“. Zustimmung kommt auch aus Oberösterreich und Wien. Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) meinte, dass sich die ÖVP auch bei der Gegenfinanzierung durchgesetzt habe und warnte vor einer „Polit-Basar-Stimmung wie zuletzt im Jahr 2008“, als teure Wahlzuckerl verteilt wurden. Wiens Soziallandesrätin Sandra Frauenberger (SPÖ) freute sich, dass die Abschaffung des Pflegeregresses endlich gelungen sei und sprach von einer „sozialpolitisch wichtigen Maßnahme“. In Wien werden knapp über 5.000 Betroffenen mit ihren Familien davon profitieren.

Wifo und IHS warnen vor Polit-Geschenken

Die Chefs von Wirtschaftsforschungsinstitut und Institut für Höhere Studien (IHS) warnen indessen die Politik vor den Nationalratswahlen vor nicht gegenfinanzierten Ruck-Zuck-Beschlüssen und auch vor „Wahlgeschenken“. Wifo-Chef Christoph Badelt kritisierte am Donnerstag etwa den jüngsten Parlamentsbeschluss für ein höheres Uni-Budget. Es gehe ihm vor allem um das „Ausgabenverhalten der Regierung in den letzten Tagen“, selbst wenn durchwegs vernünftige Dinge beschlossen würden – ohne dass jedoch zugleich auch deren Gegenfinanzierung fixiert werde. „Es braucht auch eine Lösung der strukturellen Probleme der Unis“, so Badelt, der von 2002 bis 2015 WU-Rektor war. Ein derartiges Hinterlassen von „ungelösten ökonomischen Problemen“ habe man schon am Regierungsprogramm kritisiert, „jetzt geht es noch über das Regierungsprogramm hinaus“. Werde die Gegenfinanzierung nicht gleichzeitig beschlossen, könnte es womöglich zu einer Defizit-Erhöhung führen, meinte der Wifo-Leiter. Auch IHS-Chef Martin Kocher „warnte“ bei der Vorlage der neuen vierteljährlichen Konjunkturprognose der beiden Institute ausdrücklich davor, „die Zeit bis zur Wahl für Wahlgeschenke zu verwenden“. Der neuen Regierung, die sich nach den Nationalratswahlen vom 15. Oktober formieren wird, schrieben Kocher und Badelt schon eine To-Do-Liste ins Stammbuch.

Staatsorganisationsreform gefordert

Der IHS-Chef wünscht sich vor allem Maßnahmen zur Verbesserung des Standorts (Bürokratieabbau, effiziente Verwaltung), eine Staatsorganisations-Reform sowie eine „sinnvolle Steuerreform“, wobei er eine effizientere Einnahmenseite, eine Senkung der Abgabenquote und eine Adaptierung der Steuerstruktur nennt, denn die jetzige entspreche nicht mehr den Anforderungen. Obwohl er nur drei Wünsche freihat, reicht Kocher noch eine „Digitalisierungsstrategie“ nach, denn „Tablets in den Schulen sind nicht genug“. Wifo-Chef Badelt kann „das alles unterschreiben“, ihm geht es aber mehr um Formales bzw. Prozedurales. Er fragt sich, was die künftige Regierung anders tun müsste, damit solche Vorschläge auch angegangen werden. Und er lehnt gegenseitiges Bewerfen mit Schlagworten ab, die die jeweils andere Seite ablehne: „Mit den Vorschlägen der Gegenseitige sollte man sich per Verfassungsgesetz beschäftigen müssen, das würde ein Verfassungsgerichtshof nicht aufheben.“ Zudem sei „eine grundlegende Abgabenreform“ nötig, „inklusive Sozialversicherung“, wobei die Abgabenquote gesenkt und die Abgabenstruktur verändert werde. Auch hier dürfe es nicht um ein „Schlagworte-Spiel“ gehen, „denn sonst kommt nix raus, allenfalls eine Tarifreform“, so Badelt. Zu allen Reformen wäre es nach Meinung von IHS-Chef Kocher sinnvoll, „Gesamtkonzepte zu entwickeln“ und diese „als Ganzes zu diskutieren und nicht einzelne Bestandteile“. Das habe sich schon in den 1990er-Jahren beim Thema Pensionsreform bewährt. Gegen die Übertragung solcher Entscheidungen an einen Expertenrat spricht sich Wifo-Chef Badelt aus; die Verantwortung dafür sollte schon die Politik selbst tragen, gibt er zu verstehen.