Regierung will nun auch Rücklagen der Krankenkassen ausplündern

 

Gesundheitsministerium will frei Rücklagen auflösen und Versicherten zugutekommen lassen – Gesamtstaatliches Defizit würde sich erhöhen

Wirtschaftskammer-Experte Martin Gleitsmann lehnt eine Abschaffung des Selbstbehalts ab, weil dieser "in vernünftiges Instrument" sei und "eine gewisse Kontrolle" erlaube.
Wirtschaftskammer-Experte Martin Gleitsmann lehnt eine Abschaffung des Selbstbehalts ab, weil dieser „in vernünftiges Instrument“ sei und „eine gewisse Kontrolle“ erlaube. ©EP/ANI/Media

(ANÖ/APA). Wien – Bei der von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) in seinem Plan A angeführten Auflösung von Rücklagen der Krankenkassen geht es um einen Betrag von 2,65 Milliarden Euro. Im Gesundheitsministerium hieß es, Ziel sei es, die gesamten freien Rücklagen der Kassen in diesem Ausmaß aufzulösen und den Versicherten zugutekommen zu lassen. Eine solche Auflösung würde das gesamtstaatliche Defizit erhöhen.

Die Krankenversicherungsträger verfügen über 3,7 Milliarden Euro an Rücklagen, davon 2,65 Milliarden in Form liquider Mittel (Stand 2015). Im Büro von Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) hieß es dazu am Freitag auf Anfrage der APA, Ziel sei es, diese 2,65 Mrd. Euro aufzulösen. Es handle sich dabei um Beiträge der Versicherten, das Geld solle den Versicherten zurückgegeben werden.

Angleichung der Leistungen

Ein Teil dieser Mittel soll in die Angleichung der unterschiedlichen Leistungen der Kassen fließen. Diese Unterschiede reichen „von der gynäkologischen Ultraschall-Untersuchung, die von einzelnen Kassen nicht bezahlt wird, über unterschiedliche Selbstbehalte und Zuschüsse bei Zahnleistungen (BVA-PatientInnen bekommen etwa zur Mundhygiene einen Zuschuss in der Höhe von 35 Euro) bis hin zu unterschiedlichen Zuschüssen bei Psychotherapie von 21,80 bis 50 Euro. Während Mario L., selbstständiger Grafikdesigner, für seine Gastroskopie in einer Kassenpraxis 20 Prozent Selbstbehalt zahlen muss, spart sich Frau K., Bankangestellte, dort diese 31,84 Euro“, heißt es in dem Papier Kerns.

Mit dem Argument, dass es für gleiche Beiträge auch gleiche Leistungen geben solle, steht das Gesundheitsministerium auch voll und ganz hinter diesem Plan. Welches Modell dafür gewählt wird und welche Kasse welche Leistungen übernehmen soll, müsse noch geprüft werden. Klar sei aber, dass es keine Angleichung nach unten geben soll, sondern Mehrkosten einkalkuliert werden. Auf eine konkrete Zahl wollte sich das Oberhauser-Büro aber noch nicht festlegen, das werde vom zu wählenden Modell abhängen.

Selbstbehalte abschaffen

Abgeschafft sollen die Selbstbehalte werden. Derzeit zahlen die Selbstständigen beim Arztbesuch 20 Prozent dazu, die Beamten zehn Prozent, die Eisenbahner bis 31. 12. 2018 befristet sieben Prozent und die Bauern haben eine Pauschale von 9,61 Euro pro Behandlungsfall und Quartal. Von einer Abschaffung dieser Selbstbehalte könnten gut zwei Millionen Anspruchsberechtigte profitieren.

Weiters will Kern Terminservicestellen für dringende MRT-/CT-Untersuchungen bei den Sozialversicherungsträgern einrichten, wobei nach medizinischer und diagnostischer Dringlichkeit differenziert werden soll. Bis 2018 solle es Termine für CT binnen zwei Wochen, für MRT binnen vier Wochen geben, bei hochakuten Fällen sofort.

Auswirkungen auf Budgetdefizit

Bestätigt wird vom Gesundheitsministerium auch, dass die Auflösung der Kassen-Rücklagen für das gesamtstaatliche Defizit relevant wäre. Sollten tatsächlich die gesamten 2,65 Mrd. Euro an freien Rücklagen aufgelöst werden, würde das etwa 0,7 Prozent des BIP entsprechen und das Maastricht-Defizit könnte damit heuer von 1,2 auf 1,9 Prozent steigen.

Begrüßt wird die geplante Auflösung der Rücklagen von der Ärztekammer. Das Geld könnte für eine moderne, patientenfreundliche Gesundheitsversorgung gut gebraucht werden, argumentiert die Standesvertretung. Auch der Österreichische Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP) begrüßte die Pläne Kerns und forderte die Anhebung des Kostenzuschusses für Psychotherapie von 21,80 Euro auf 40 Euro pro Therapieeinheit. Kern hat eine Erhöhung des Kontingents von kostenlosen Therapieeinheiten um 50 Prozent und einen einfacheren Zugang zu umfassender psychotherapeutischer Versorgung sowie mehr Geld für diesen Bereich vorgeschlagen.

Kritik von Beamten und Gewerbetreibenden

Kritik kommt hingegen von der Beamten-Versicherung und der Sozialversicherung der Gewerblichen Wirtschaft. BVA-Obmann Fritz Neugebauer lehnte es in der „Wiener Zeitung“ ab, dass Rücklagen seiner Versicherung für bessere Leistungen anderer Versicherungen verwendet werden. Das sei „verfassungsrechtlich nicht gestattet“. Wirtschaftskammer-Experte Martin Gleitsmann lehnt eine Abschaffung des Selbstbehalts ab, weil dieser „in vernünftiges Instrument“ sei und „eine gewisse Kontrolle“ erlaube.